Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Neu-Jahrs-Gedicht Die Höhle schien mit Fleiß, von Fingern der Natur, Zu diesem Endzweck, ausgegraben: Damit man, ganz entfernt von aller Menschen Spuhr, Jn Sicherheit, darinn konnt' eine Wohnung haben; Auch, nebst geruhiger und sanfter Sicherheit, Genugsame Bequemlichkeit; Ein sanft einsiedlerisch vergnüglichs Leben führen, Und das geheime Buch der Welt-Weisheit studieren. Der Umfang ihrer hohlen Weite War, in der Läng' und in der Breite, Fast eine halbe Meile groß. Durch Riss' und Spalten fiel, in die sonst dunkle Schooß, Von oben, ein geschwächt, gemischtes, dämmricht Licht, Wie es früh, durch die Luft, und auch des Abends, bricht: So daß allhier kein Licht noch dunkler Schatten schwebte, Und man, in dieser Höhl', in steter Dämmrung lebte. Der Umständ' insgesammt, die ihm so nützlich schienen, Beschloß sich Silvius vernünftig zu bedienen, Um Cernamir, entfernt von Menschen, zu erziehn. Er sucht absonderlich, dahin sich zu bemühn, Daß seine Seele rein von allem Jrrthum bliebe, Von allem Vorurtheil, von allem falschen Triebe Der blinden Leidenschaft: damit, wenn er die Welt Dereinst erblicken sollt', und was sie in sich hält; Er ihre Schätze mög' in einem andern Licht, Als wie es, leider! meist von Sterblichen geschicht, Und nach dem wahren Zweck der Schöpfung, übersehen, Und, im vergnüglichen Genuß, bewundernd, GOTT erhöhen. Da
Neu-Jahrs-Gedicht Die Hoͤhle ſchien mit Fleiß, von Fingern der Natur, Zu dieſem Endzweck, ausgegraben: Damit man, ganz entfernt von aller Menſchen Spuhr, Jn Sicherheit, darinn konnt’ eine Wohnung haben; Auch, nebſt geruhiger und ſanfter Sicherheit, Genugſame Bequemlichkeit; Ein ſanft einſiedleriſch vergnuͤglichs Leben fuͤhren, Und das geheime Buch der Welt-Weisheit ſtudieren. Der Umfang ihrer hohlen Weite War, in der Laͤng’ und in der Breite, Faſt eine halbe Meile groß. Durch Riſſ’ und Spalten fiel, in die ſonſt dunkle Schooß, Von oben, ein geſchwaͤcht, gemiſchtes, daͤmmricht Licht, Wie es fruͤh, durch die Luft, und auch des Abends, bricht: So daß allhier kein Licht noch dunkler Schatten ſchwebte, Und man, in dieſer Hoͤhl’, in ſteter Daͤmmrung lebte. Der Umſtaͤnd’ insgeſammt, die ihm ſo nuͤtzlich ſchienen, Beſchloß ſich Silvius vernuͤnftig zu bedienen, Um Cernamir, entfernt von Menſchen, zu erziehn. Er ſucht abſonderlich, dahin ſich zu bemuͤhn, Daß ſeine Seele rein von allem Jrrthum bliebe, Von allem Vorurtheil, von allem falſchen Triebe Der blinden Leidenſchaft: damit, wenn er die Welt Dereinſt erblicken ſollt’, und was ſie in ſich haͤlt; Er ihre Schaͤtze moͤg’ in einem andern Licht, Als wie es, leider! meiſt von Sterblichen geſchicht, Und nach dem wahren Zweck der Schoͤpfung, uͤberſehen, Und, im vergnuͤglichen Genuß, bewundernd, GOTT erhoͤhen. Da
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Neu-Jahrs-Gedicht
Die Hoͤhle ſchien mit Fleiß, von Fingern der Natur,
Zu dieſem Endzweck, ausgegraben:
Damit man, ganz entfernt von aller Menſchen Spuhr,
Jn Sicherheit, darinn konnt’ eine Wohnung haben;
Auch, nebſt geruhiger und ſanfter Sicherheit,
Genugſame Bequemlichkeit;
Ein ſanft einſiedleriſch vergnuͤglichs Leben fuͤhren,
Und das geheime Buch der Welt-Weisheit ſtudieren.
Der Umfang ihrer hohlen Weite
War, in der Laͤng’ und in der Breite,
Faſt eine halbe Meile groß.
Durch Riſſ’ und Spalten fiel, in die ſonſt dunkle Schooß,
Von oben, ein geſchwaͤcht, gemiſchtes, daͤmmricht Licht,
Wie es fruͤh, durch die Luft, und auch des Abends,
bricht:
So daß allhier kein Licht noch dunkler Schatten ſchwebte,
Und man, in dieſer Hoͤhl’, in ſteter Daͤmmrung lebte.
Der Umſtaͤnd’ insgeſammt, die ihm ſo nuͤtzlich ſchienen,
Beſchloß ſich Silvius vernuͤnftig zu bedienen,
Um Cernamir, entfernt von Menſchen, zu erziehn.
Er ſucht abſonderlich, dahin ſich zu bemuͤhn,
Daß ſeine Seele rein von allem Jrrthum bliebe,
Von allem Vorurtheil, von allem falſchen Triebe
Der blinden Leidenſchaft: damit, wenn er die Welt
Dereinſt erblicken ſollt’, und was ſie in ſich haͤlt;
Er ihre Schaͤtze moͤg’ in einem andern Licht,
Als wie es, leider! meiſt von Sterblichen geſchicht,
Und nach dem wahren Zweck der Schoͤpfung, uͤberſehen,
Und, im vergnuͤglichen Genuß, bewundernd, GOTT
erhoͤhen.
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Zitationshilfe: | Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/428>, abgerufen am 16.02.2025. |