Verschiedne haben ihre Beine; verschiedne, Füße, Fin- ger, Ohren, Auch andre Glieder, unglückselig, in diesem harten Frost, verlohren.
Dem unerhörten Winter folgt ein nie erlebter Früh- ling nach. Die Kälte wollte nicht entweichen, es wollte sich kein Eis verlieren: Aus der annoch gefrornen Erd' erschien' annoch kein Gras; es brach Kein Laub aus noch erstarrten Bäumen; im May war noch kein Grün zu spühren. Nun sahe man im Junius zwar wohl kein wirklich Eis nicht mehr; Doch war, im Julius so gar, die Luft noch nicht von Kälte leer. Kein Regen fiel, kein Gras erschien: So wie die Kälte erst gethan; So hinderte die strenge Dürre und Regen-Mangel nun daran: Wodurch das Vieh, so fast verkam, annoch in äusserster Gefahr, Für Hunger umzukommen, war.
Den Frühling fühlt' und sah man nicht; es war kein Sommer fast zu spühren; Es schien der Herbst, in diesem Jahr, den vorgen Win- ter zu berühren: Ja, wie das Korn kaum eingeführt, das heuer tief im Herbst geschah, War allbereit, zu unserm Schrecken, ein neuer Winter wieder da.
Es
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des 1740ſten Jahres.
Verſchiedne haben ihre Beine; verſchiedne, Fuͤße, Fin- ger, Ohren, Auch andre Glieder, ungluͤckſelig, in dieſem harten Froſt, verlohren.
Dem unerhoͤrten Winter folgt ein nie erlebter Fruͤh- ling nach. Die Kaͤlte wollte nicht entweichen, es wollte ſich kein Eis verlieren: Aus der annoch gefrornen Erd’ erſchien’ annoch kein Gras; es brach Kein Laub aus noch erſtarrten Baͤumen; im May war noch kein Gruͤn zu ſpuͤhren. Nun ſahe man im Junius zwar wohl kein wirklich Eis nicht mehr; Doch war, im Julius ſo gar, die Luft noch nicht von Kaͤlte leer. Kein Regen fiel, kein Gras erſchien: So wie die Kaͤlte erſt gethan; So hinderte die ſtrenge Duͤrre und Regen-Mangel nun daran: Wodurch das Vieh, ſo faſt verkam, annoch in aͤuſſerſter Gefahr, Fuͤr Hunger umzukommen, war.
Den Fruͤhling fuͤhlt’ und ſah man nicht; es war kein Sommer faſt zu ſpuͤhren; Es ſchien der Herbſt, in dieſem Jahr, den vorgen Win- ter zu beruͤhren: Ja, wie das Korn kaum eingefuͤhrt, das heuer tief im Herbſt geſchah, War allbereit, zu unſerm Schrecken, ein neuer Winter wieder da.
Es
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des 1740ſten Jahres.
Verſchiedne haben ihre Beine; verſchiedne, Fuͤße, Fin-
ger, Ohren,
Auch andre Glieder, ungluͤckſelig, in dieſem harten Froſt,
verlohren.
Dem unerhoͤrten Winter folgt ein nie erlebter Fruͤh-
ling nach.
Die Kaͤlte wollte nicht entweichen, es wollte ſich kein Eis
verlieren:
Aus der annoch gefrornen Erd’ erſchien’ annoch kein Gras;
es brach
Kein Laub aus noch erſtarrten Baͤumen; im May war
noch kein Gruͤn zu ſpuͤhren.
Nun ſahe man im Junius zwar wohl kein wirklich Eis
nicht mehr;
Doch war, im Julius ſo gar, die Luft noch nicht von
Kaͤlte leer.
Kein Regen fiel, kein Gras erſchien: So wie die Kaͤlte
erſt gethan;
So hinderte die ſtrenge Duͤrre und Regen-Mangel nun
daran:
Wodurch das Vieh, ſo faſt verkam, annoch in aͤuſſerſter
Gefahr,
Fuͤr Hunger umzukommen, war.
Den Fruͤhling fuͤhlt’ und ſah man nicht; es war kein
Sommer faſt zu ſpuͤhren;
Es ſchien der Herbſt, in dieſem Jahr, den vorgen Win-
ter zu beruͤhren:
Ja, wie das Korn kaum eingefuͤhrt, das heuer tief im
Herbſt geſchah,
War allbereit, zu unſerm Schrecken, ein neuer Winter
wieder da.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/357>, abgerufen am 16.02.2025.
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