Doch, laßt uns wieder zu dem Nutzen der nöthgen Dürftigkeit uns kehren, Und, daß nur sie den Menschen fast zum Menschen recht gemacht, erklären. Sie schärfet, an dem harten Wetzstein der Nothdurft, den sonst stumpfen Witz. Sie ist der Ursprung und die Quelle von Städten, Reich- und Regimenten, Gesetzen, Bündniß, und Gesellschaft. Sie ist die Wur- zel, und der Sitz, Von jeder Wissenschaft und Kunst; die nicht ohn sie bestehen könnten. Wär keiner; wär' ein jeder, dürftig: Und, wenn mans recht erwegt, so wären, Ohn' Armuth, alle Menschen arm. Der Trieb, wodurch der Menschen Geist, Vor allem Vieh, den Vorzug hat, und so viel Wunder- Werke weist, Würd', ohne den gerühmten Mangel, in faule Dumm- heit sich verkehren. Wozu würd' unsers Geistes Kraft uns nütz seyn, und wie wenig wehrt, Da die Natur den Thieren meist, was sie gebrauchen, selbst beschehrt, Weil sie sich sonst nicht rathen könnten; wenn sie auch uns, wie sie, beschenkt', Und das, was uns bekleidet, schützet, erhält, bequem ist, nährt und tränkt, Sich alles um und bey uns fände? Es hat die Gott- heit, in der Welt, Uns Vorwürf', unsern Geist zu üben, an allen Orten, dargestellt.
Daß
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in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Doch, laßt uns wieder zu dem Nutzen der noͤthgen Duͤrftigkeit uns kehren, Und, daß nur ſie den Menſchen faſt zum Menſchen recht gemacht, erklaͤren. Sie ſchaͤrfet, an dem harten Wetzſtein der Nothdurft, den ſonſt ſtumpfen Witz. Sie iſt der Urſprung und die Quelle von Staͤdten, Reich- und Regimenten, Geſetzen, Buͤndniß, und Geſellſchaft. Sie iſt die Wur- zel, und der Sitz, Von jeder Wiſſenſchaft und Kunſt; die nicht ohn ſie beſtehen koͤnnten. Waͤr keiner; waͤr’ ein jeder, duͤrftig: Und, wenn mans recht erwegt, ſo waͤren, Ohn’ Armuth, alle Menſchen arm. Der Trieb, wodurch der Menſchen Geiſt, Vor allem Vieh, den Vorzug hat, und ſo viel Wunder- Werke weiſt, Wuͤrd’, ohne den geruͤhmten Mangel, in faule Dumm- heit ſich verkehren. Wozu wuͤrd’ unſers Geiſtes Kraft uns nuͤtz ſeyn, und wie wenig wehrt, Da die Natur den Thieren meiſt, was ſie gebrauchen, ſelbſt beſchehrt, Weil ſie ſich ſonſt nicht rathen koͤnnten; wenn ſie auch uns, wie ſie, beſchenkt’, Und das, was uns bekleidet, ſchuͤtzet, erhaͤlt, bequem iſt, naͤhrt und traͤnkt, Sich alles um und bey uns faͤnde? Es hat die Gott- heit, in der Welt, Uns Vorwuͤrf’, unſern Geiſt zu uͤben, an allen Orten, dargeſtellt.
Daß
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[309/0323]
in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Doch, laßt uns wieder zu dem Nutzen der noͤthgen
Duͤrftigkeit uns kehren,
Und, daß nur ſie den Menſchen faſt zum Menſchen
recht gemacht, erklaͤren.
Sie ſchaͤrfet, an dem harten Wetzſtein der Nothdurft,
den ſonſt ſtumpfen Witz.
Sie iſt der Urſprung und die Quelle von Staͤdten, Reich-
und Regimenten,
Geſetzen, Buͤndniß, und Geſellſchaft. Sie iſt die Wur-
zel, und der Sitz,
Von jeder Wiſſenſchaft und Kunſt; die nicht ohn ſie
beſtehen koͤnnten.
Waͤr keiner; waͤr’ ein jeder, duͤrftig: Und, wenn mans
recht erwegt, ſo waͤren,
Ohn’ Armuth, alle Menſchen arm. Der Trieb, wodurch
der Menſchen Geiſt,
Vor allem Vieh, den Vorzug hat, und ſo viel Wunder-
Werke weiſt,
Wuͤrd’, ohne den geruͤhmten Mangel, in faule Dumm-
heit ſich verkehren.
Wozu wuͤrd’ unſers Geiſtes Kraft uns nuͤtz ſeyn, und
wie wenig wehrt,
Da die Natur den Thieren meiſt, was ſie gebrauchen,
ſelbſt beſchehrt,
Weil ſie ſich ſonſt nicht rathen koͤnnten; wenn ſie auch
uns, wie ſie, beſchenkt’,
Und das, was uns bekleidet, ſchuͤtzet, erhaͤlt, bequem iſt,
naͤhrt und traͤnkt,
Sich alles um und bey uns faͤnde? Es hat die Gott-
heit, in der Welt,
Uns Vorwuͤrf’, unſern Geiſt zu uͤben, an allen Orten,
dargeſtellt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/323>, abgerufen am 16.07.2024.
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