Der Hand Geschicklichkeit, und wem, der starken Armen Arbeit, geben? Von welchem wollen sie den Lohn, von aller ihrer Mühe, heben? Ein solch bewundernswürdigs Band verbindet jetzo Herr und Knecht, Die Bauren, Edelleut', und kurz, das ganze menschliche Geschlecht.
Die Armuth ist der Welt so nöthig, daß, ohne sie, die Welt nicht Städte, Nicht Ordnung, nicht Bequemlichkeit, Gesetze, noch was Gutes, hätte. Wär' Armuth nicht; wär' alles arm. Ein jeder würde nicht allein Sein eigner Diener werden müssen; wir würden, auf dem trocknen Lande, Nicht anders, als durch Sturm verschlagnes schiff brü- chigs Volk auf ödem Strande, Jn einem Meer von Elend wühlen, und sonder Schutz und Hülfe seyn. Noch mehr! wir können deutlich zeigen, daß bloß allein die Armuth wehrt, Daß wir sie aller Künste Mutter, die sie erzeugt, erhält, ernährt, Mit Recht, unwidersprechlich, nennen. Der Mangel uns nothwendger Güter Schärft, wie der Wetzstein stumpfen Stahl, die unge- schliffensten Gemüther, Und spornet sie zum Denken an: so daß, wenn wir sie von uns trennten, Wir, sonder Wissenschaft, Erfindung, uns selbst kaum Menschen nennen könnten.
Erwege
Nutzen des Mangels,
Der Hand Geſchicklichkeit, und wem, der ſtarken Armen Arbeit, geben? Von welchem wollen ſie den Lohn, von aller ihrer Muͤhe, heben? Ein ſolch bewundernswuͤrdigs Band verbindet jetzo Herr und Knecht, Die Bauren, Edelleut’, und kurz, das ganze menſchliche Geſchlecht.
Die Armuth iſt der Welt ſo noͤthig, daß, ohne ſie, die Welt nicht Staͤdte, Nicht Ordnung, nicht Bequemlichkeit, Geſetze, noch was Gutes, haͤtte. Waͤr’ Armuth nicht; waͤr’ alles arm. Ein jeder wuͤrde nicht allein Sein eigner Diener werden muͤſſen; wir wuͤrden, auf dem trocknen Lande, Nicht anders, als durch Sturm verſchlagnes ſchiff bruͤ- chigs Volk auf oͤdem Strande, Jn einem Meer von Elend wuͤhlen, und ſonder Schutz und Huͤlfe ſeyn. Noch mehr! wir koͤnnen deutlich zeigen, daß bloß allein die Armuth wehrt, Daß wir ſie aller Kuͤnſte Mutter, die ſie erzeugt, erhaͤlt, ernaͤhrt, Mit Recht, unwiderſprechlich, nennen. Der Mangel uns nothwendger Guͤter Schaͤrft, wie der Wetzſtein ſtumpfen Stahl, die unge- ſchliffenſten Gemuͤther, Und ſpornet ſie zum Denken an: ſo daß, wenn wir ſie von uns trennten, Wir, ſonder Wiſſenſchaft, Erfindung, uns ſelbſt kaum Menſchen nennen koͤnnten.
Erwege
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Nutzen des Mangels,
Der Hand Geſchicklichkeit, und wem, der ſtarken Armen
Arbeit, geben?
Von welchem wollen ſie den Lohn, von aller ihrer Muͤhe,
heben?
Ein ſolch bewundernswuͤrdigs Band verbindet jetzo Herr
und Knecht,
Die Bauren, Edelleut’, und kurz, das ganze menſchliche
Geſchlecht.
Die Armuth iſt der Welt ſo noͤthig, daß, ohne ſie,
die Welt nicht Staͤdte,
Nicht Ordnung, nicht Bequemlichkeit, Geſetze, noch
was Gutes, haͤtte.
Waͤr’ Armuth nicht; waͤr’ alles arm. Ein jeder wuͤrde
nicht allein
Sein eigner Diener werden muͤſſen; wir wuͤrden, auf
dem trocknen Lande,
Nicht anders, als durch Sturm verſchlagnes ſchiff bruͤ-
chigs Volk auf oͤdem Strande,
Jn einem Meer von Elend wuͤhlen, und ſonder Schutz
und Huͤlfe ſeyn.
Noch mehr! wir koͤnnen deutlich zeigen, daß bloß allein
die Armuth wehrt,
Daß wir ſie aller Kuͤnſte Mutter, die ſie erzeugt, erhaͤlt,
ernaͤhrt,
Mit Recht, unwiderſprechlich, nennen. Der Mangel
uns nothwendger Guͤter
Schaͤrft, wie der Wetzſtein ſtumpfen Stahl, die unge-
ſchliffenſten Gemuͤther,
Und ſpornet ſie zum Denken an: ſo daß, wenn wir ſie
von uns trennten,
Wir, ſonder Wiſſenſchaft, Erfindung, uns ſelbſt kaum
Menſchen nennen koͤnnten.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/310>, abgerufen am 15.08.2024.
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