Jndem ich dieser Stauden Bau, Der Blätter Größ' und Ordnung, schau, Der Adern Richtigkeit erwäge, Den Schmuck der Farben überlege, Die Ursach' aller Zier ergründe, Und etwas Wirkendes, in dem Gewirkten, finde; So fällt mir Folgends ein: "Nur dieser Pflanzen Bau allein "Könnt' eine Probe seyn, "Daß ihre Regel-rechte Pracht, "Ohn' eine weise Macht, "Unmöglich sey hervorgebracht.
Wie unglückselig seyn wir hier dann auf der Welt, Daß die, von dieser großen Wahrheit, So hell' und unleugbare Klarheit Uns öfter nicht ins Auge fällt!
Wenn, dacht ich, ich allein, an diesem Orte, säße, Und daß ein Kraut, von solcher Größe, Jn meiner Gegenwart, schnell aufwärts schösse, Aus einer leeren Stell' entsprünge, Und, sichtbar, in die Höhe drünge; Wie würde nicht mein Geist beschäfftigt seyn, Den Grund des Wunders zu ergründen, Den Meister davon auszufinden? Würd' ich nicht, wenigstens, mit meinen Schlüssen Dahin gelangen müssen: Es müßte hier, im unsichtbaren Schein, Was Geistiges vorhanden seyn, Das sich so ordentlich bewegte, So zierlich und so künstlich regte?
Die
Das Kletten-Kraut.
Jndem ich dieſer Stauden Bau, Der Blaͤtter Groͤß’ und Ordnung, ſchau, Der Adern Richtigkeit erwaͤge, Den Schmuck der Farben uͤberlege, Die Urſach’ aller Zier ergruͤnde, Und etwas Wirkendes, in dem Gewirkten, finde; So faͤllt mir Folgends ein: “Nur dieſer Pflanzen Bau allein “Koͤnnt’ eine Probe ſeyn, “Daß ihre Regel-rechte Pracht, “Ohn’ eine weiſe Macht, “Unmoͤglich ſey hervorgebracht.
Wie ungluͤckſelig ſeyn wir hier dann auf der Welt, Daß die, von dieſer großen Wahrheit, So hell’ und unleugbare Klarheit Uns oͤfter nicht ins Auge faͤllt!
Wenn, dacht ich, ich allein, an dieſem Orte, ſaͤße, Und daß ein Kraut, von ſolcher Groͤße, Jn meiner Gegenwart, ſchnell aufwaͤrts ſchoͤſſe, Aus einer leeren Stell’ entſpruͤnge, Und, ſichtbar, in die Hoͤhe druͤnge; Wie wuͤrde nicht mein Geiſt beſchaͤfftigt ſeyn, Den Grund des Wunders zu ergruͤnden, Den Meiſter davon auszufinden? Wuͤrd’ ich nicht, wenigſtens, mit meinen Schluͤſſen Dahin gelangen muͤſſen: Es muͤßte hier, im unſichtbaren Schein, Was Geiſtiges vorhanden ſeyn, Das ſich ſo ordentlich bewegte, So zierlich und ſo kuͤnſtlich regte?
Die
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Das Kletten-Kraut.
Jndem ich dieſer Stauden Bau,
Der Blaͤtter Groͤß’ und Ordnung, ſchau,
Der Adern Richtigkeit erwaͤge,
Den Schmuck der Farben uͤberlege,
Die Urſach’ aller Zier ergruͤnde,
Und etwas Wirkendes, in dem Gewirkten, finde;
So faͤllt mir Folgends ein:
“Nur dieſer Pflanzen Bau allein
“Koͤnnt’ eine Probe ſeyn,
“Daß ihre Regel-rechte Pracht,
“Ohn’ eine weiſe Macht,
“Unmoͤglich ſey hervorgebracht.
Wie ungluͤckſelig ſeyn wir hier dann auf der Welt,
Daß die, von dieſer großen Wahrheit,
So hell’ und unleugbare Klarheit
Uns oͤfter nicht ins Auge faͤllt!
Wenn, dacht ich, ich allein, an dieſem Orte, ſaͤße,
Und daß ein Kraut, von ſolcher Groͤße,
Jn meiner Gegenwart, ſchnell aufwaͤrts ſchoͤſſe,
Aus einer leeren Stell’ entſpruͤnge,
Und, ſichtbar, in die Hoͤhe druͤnge;
Wie wuͤrde nicht mein Geiſt beſchaͤfftigt ſeyn,
Den Grund des Wunders zu ergruͤnden,
Den Meiſter davon auszufinden?
Wuͤrd’ ich nicht, wenigſtens, mit meinen Schluͤſſen
Dahin gelangen muͤſſen:
Es muͤßte hier, im unſichtbaren Schein,
Was Geiſtiges vorhanden ſeyn,
Das ſich ſo ordentlich bewegte,
So zierlich und ſo kuͤnſtlich regte?
Die
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/144>, abgerufen am 16.02.2025.
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