"Wir können uns im Frost nicht decken, für Regen, Schlos- sen, Wind und Stürmen, "Da öfters uns die Wohnung fehlt, mit einem Dache kaum beschirmen. So hör: Dein Klagen ist gegründet und ist betrübt. Doch zu geschweigen, Daß solch ein hoher Grad der Armuht sich selten doch nur pflegt zu zeigen; So finden sich doch bey uns Menschen, wie hart wir gleich, doch solche Herzen, Die, bey so grosser Uebermaße, von Aemuht gleichsam selbsten Schmerzen Und eine Art von Mitleid fühlen, und sich dadurch ge- zwungen sehn, Zu sorgen, daß so armen Nächsten doch etwas Hülfe mag geschehn. Auch sind dem Allerärmsten Gaben auf diesem Kreis der Welt geschenkt, Die ganz unschätzbar, und die er, bloß weil er nicht daran gedenkt, Auch wirklich nicht zu haben glaubt, da sie dennoch von solcher Würde, Daß er sie gegen grossen Reichthum nicht tauschen noch verkaufen würde. Es hat ein Armer mehrentheils das Brodt in seiner eignen Hand, Die Arbeit kann es ihm gewehren. Er hat Gesundheit, hat Verstand, Er hat die Sinnen, welche Schätze! Er hat nächst dem der Sonnen Licht, Zusammt dem Brauch der Elementen, den Schlaf, die Hoffnung, ja noch mehr:
Es
Nuͤtzliche Betrachtung
„Wir koͤnnen uns im Froſt nicht decken, fuͤr Regen, Schloſ- ſen, Wind und Stuͤrmen, „Da oͤfters uns die Wohnung fehlt, mit einem Dache kaum beſchirmen. So hoͤr: Dein Klagen iſt gegruͤndet und iſt betruͤbt. Doch zu geſchweigen, Daß ſolch ein hoher Grad der Armuht ſich ſelten doch nur pflegt zu zeigen; So finden ſich doch bey uns Menſchen, wie hart wir gleich, doch ſolche Herzen, Die, bey ſo groſſer Uebermaße, von Aemuht gleichſam ſelbſten Schmerzen Und eine Art von Mitleid fuͤhlen, und ſich dadurch ge- zwungen ſehn, Zu ſorgen, daß ſo armen Naͤchſten doch etwas Huͤlfe mag geſchehn. Auch ſind dem Alleraͤrmſten Gaben auf dieſem Kreis der Welt geſchenkt, Die ganz unſchaͤtzbar, und die er, bloß weil er nicht daran gedenkt, Auch wirklich nicht zu haben glaubt, da ſie dennoch von ſolcher Wuͤrde, Daß er ſie gegen groſſen Reichthum nicht tauſchen noch verkaufen wuͤrde. Es hat ein Armer mehrentheils das Brodt in ſeiner eignen Hand, Die Arbeit kann es ihm gewehren. Er hat Geſundheit, hat Verſtand, Er hat die Sinnen, welche Schaͤtze! Er hat naͤchſt dem der Sonnen Licht, Zuſammt dem Brauch der Elementen, den Schlaf, die Hoffnung, ja noch mehr:
Es
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Nuͤtzliche Betrachtung
„Wir koͤnnen uns im Froſt nicht decken, fuͤr Regen, Schloſ-
ſen, Wind und Stuͤrmen,
„Da oͤfters uns die Wohnung fehlt, mit einem Dache kaum
beſchirmen.
So hoͤr: Dein Klagen iſt gegruͤndet und iſt betruͤbt. Doch
zu geſchweigen,
Daß ſolch ein hoher Grad der Armuht ſich ſelten doch
nur pflegt zu zeigen;
So finden ſich doch bey uns Menſchen, wie hart wir gleich,
doch ſolche Herzen,
Die, bey ſo groſſer Uebermaße, von Aemuht gleichſam
ſelbſten Schmerzen
Und eine Art von Mitleid fuͤhlen, und ſich dadurch ge-
zwungen ſehn,
Zu ſorgen, daß ſo armen Naͤchſten doch etwas Huͤlfe mag
geſchehn.
Auch ſind dem Alleraͤrmſten Gaben auf dieſem Kreis der
Welt geſchenkt,
Die ganz unſchaͤtzbar, und die er, bloß weil er nicht daran
gedenkt,
Auch wirklich nicht zu haben glaubt, da ſie dennoch von
ſolcher Wuͤrde,
Daß er ſie gegen groſſen Reichthum nicht tauſchen noch
verkaufen wuͤrde.
Es hat ein Armer mehrentheils das Brodt in ſeiner eignen
Hand,
Die Arbeit kann es ihm gewehren. Er hat Geſundheit,
hat Verſtand,
Er hat die Sinnen, welche Schaͤtze! Er hat naͤchſt dem
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Zuſammt dem Brauch der Elementen, den Schlaf, die
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/732>, abgerufen am 22.11.2024.
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