Wir dennoch nicht befugt, ohn' Unterscheid, Aufs grausamste sie zu ermorden. Kein Würmchen ist so klein, dem wir das Leben, Mit aller unsrer Macht, zu geben Vermögend seyn. Wenn dieß nun, für den Wurm, ein unschätzbares Gut; Wie kann man glauben, Daß man daran nicht Unrecht thut, Wenn wir es ihm aus Frevel rauben, Ja noch dazu mit Pein und Quälen Jhn oft zerfleischen und entseelen. Wie letzters nun zumahl den gröbsten Unverstand, Da ihnen ihre Schuld und Bosheit unbekannt, Aus Mangel der Belehrung, zeiget; So ist es wahrlich zu beklagen, Daß man von diesem Unrecht schweiget, Und daß wir nichts hievon, zu ihrer Lehre, sagen.
Noch mehr. Jn GOttes Wunder-Werken Des Schöpfers Weisheit, Liebe, Macht, So unglückselig nicht bemerken, Wird ebenfalls für Sünde nicht geacht, Da es doch klärlich darzuthun, Daß vieler Sünden Ströhm' in dieser Sünde ruhn. Jch habe wohl zuweilen nachgefraget: Woher es käme, daß man, GOtt zum Abbruch gleichsam Seiner Ehre, Jn diesem Punct so blind und unempfindlich wäre? So hieß es mehrentheils: Hievon hat uns der Priester nichts gesaget. Wie es nun recht und gut, mit völligem Vertrauen Auf unsrer Lehrer Lehren bauen; So folgt zugleich unwiedersprechlich dieß,
Daß,
Zu viele und zu wenige
Wir dennoch nicht befugt, ohn’ Unterſcheid, Aufs grauſamſte ſie zu ermorden. Kein Wuͤrmchen iſt ſo klein, dem wir das Leben, Mit aller unſrer Macht, zu geben Vermoͤgend ſeyn. Wenn dieß nun, fuͤr den Wurm, ein unſchaͤtzbares Gut; Wie kann man glauben, Daß man daran nicht Unrecht thut, Wenn wir es ihm aus Frevel rauben, Ja noch dazu mit Pein und Quaͤlen Jhn oft zerfleiſchen und entſeelen. Wie letzters nun zumahl den groͤbſten Unverſtand, Da ihnen ihre Schuld und Bosheit unbekannt, Aus Mangel der Belehrung, zeiget; So iſt es wahrlich zu beklagen, Daß man von dieſem Unrecht ſchweiget, Und daß wir nichts hievon, zu ihrer Lehre, ſagen.
Noch mehr. Jn GOttes Wunder-Werken Des Schoͤpfers Weiſheit, Liebe, Macht, So ungluͤckſelig nicht bemerken, Wird ebenfalls fuͤr Suͤnde nicht geacht, Da es doch klaͤrlich darzuthun, Daß vieler Suͤnden Stroͤhm’ in dieſer Suͤnde ruhn. Jch habe wohl zuweilen nachgefraget: Woher es kaͤme, daß man, GOtt zum Abbruch gleichſam Seiner Ehre, Jn dieſem Punct ſo blind und unempfindlich waͤre? So hieß es mehrentheils: Hievon hat uns der Prieſter nichts geſaget. Wie es nun recht und gut, mit voͤlligem Vertrauen Auf unſrer Lehrer Lehren bauen; So folgt zugleich unwiederſprechlich dieß,
Daß,
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Zu viele und zu wenige
Wir dennoch nicht befugt, ohn’ Unterſcheid,
Aufs grauſamſte ſie zu ermorden.
Kein Wuͤrmchen iſt ſo klein, dem wir das Leben,
Mit aller unſrer Macht, zu geben
Vermoͤgend ſeyn.
Wenn dieß nun, fuͤr den Wurm, ein unſchaͤtzbares Gut;
Wie kann man glauben,
Daß man daran nicht Unrecht thut,
Wenn wir es ihm aus Frevel rauben,
Ja noch dazu mit Pein und Quaͤlen
Jhn oft zerfleiſchen und entſeelen.
Wie letzters nun zumahl den groͤbſten Unverſtand,
Da ihnen ihre Schuld und Bosheit unbekannt,
Aus Mangel der Belehrung, zeiget;
So iſt es wahrlich zu beklagen,
Daß man von dieſem Unrecht ſchweiget,
Und daß wir nichts hievon, zu ihrer Lehre, ſagen.
Noch mehr. Jn GOttes Wunder-Werken
Des Schoͤpfers Weiſheit, Liebe, Macht,
So ungluͤckſelig nicht bemerken,
Wird ebenfalls fuͤr Suͤnde nicht geacht,
Da es doch klaͤrlich darzuthun,
Daß vieler Suͤnden Stroͤhm’ in dieſer Suͤnde ruhn.
Jch habe wohl zuweilen nachgefraget:
Woher es kaͤme, daß man, GOtt zum Abbruch gleichſam
Seiner Ehre,
Jn dieſem Punct ſo blind und unempfindlich waͤre?
So hieß es mehrentheils: Hievon hat uns der Prieſter
nichts geſaget.
Wie es nun recht und gut, mit voͤlligem Vertrauen
Auf unſrer Lehrer Lehren bauen;
So folgt zugleich unwiederſprechlich dieß,
Daß,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/710>, abgerufen am 22.11.2024.
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