Die wahre Liebe muß allein aus wirklichen Verdiensten fliessen, Unmöglich ist die Zärtlichkeit des Gegenstandes zu genies- sen, Sie muß aus eigenem Verdienst zuerst entstehen und ent- springen, Und, durch des Gegenstands Vergnügen, uns erst ein recht Vergnügen bringen. Um nun zu diesem Zweck zu kommen, nehm jeder diese Lehr' in Acht:
Man ziehe der Geliebten Vorzüg' und seine Fehler in Betracht. Man suche stets, so viel man kann, um sein Vergnügen zu vergrössern, Was an ihr gut ist, gut zu finden, und seine Schwach- heit zu verbessern. Durchs erstre wird man zu dem letztern schon eine Fähigkeit verspühren, Jndem die Furcht so vieles Gutes, was man besitzt, nicht zu verlieren, Uns unsre Fehler zu verhehlen, ja gar zu ändern, dürfte führen.
Wofern wir dieses unterlassen, und wir für alles Gut' erblinden, Was der beliebte Gegenstand besitzet; wird man bald be- finden, Wie wir auch ihr nicht mehr gefallen. Gleich wird die Wechsel-Lust verschwinden. Gleichgült'ge Kälte wird zuerst das süsse Feur der Liebe dämpfen,
Der
Die vernuͤnftige und unvernuͤnftige Liebe.
Die wahre Liebe muß allein aus wirklichen Verdienſten flieſſen, Unmoͤglich iſt die Zaͤrtlichkeit des Gegenſtandes zu genieſ- ſen, Sie muß aus eigenem Verdienſt zuerſt entſtehen und ent- ſpringen, Und, durch des Gegenſtands Vergnuͤgen, uns erſt ein recht Vergnuͤgen bringen. Um nun zu dieſem Zweck zu kommen, nehm jeder dieſe Lehr’ in Acht:
Man ziehe der Geliebten Vorzuͤg’ und ſeine Fehler in Betracht. Man ſuche ſtets, ſo viel man kann, um ſein Vergnuͤgen zu vergroͤſſern, Was an ihr gut iſt, gut zu finden, und ſeine Schwach- heit zu verbeſſern. Durchs erſtre wird man zu dem letztern ſchon eine Faͤhigkeit verſpuͤhren, Jndem die Furcht ſo vieles Gutes, was man beſitzt, nicht zu verlieren, Uns unſre Fehler zu verhehlen, ja gar zu aͤndern, duͤrfte fuͤhren.
Wofern wir dieſes unterlaſſen, und wir fuͤr alles Gut’ erblinden, Was der beliebte Gegenſtand beſitzet; wird man bald be- finden, Wie wir auch ihr nicht mehr gefallen. Gleich wird die Wechſel-Luſt verſchwinden. Gleichguͤlt’ge Kaͤlte wird zuerſt das ſuͤſſe Feur der Liebe daͤmpfen,
Der
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Die vernuͤnftige und unvernuͤnftige Liebe.
Die wahre Liebe muß allein aus wirklichen Verdienſten
flieſſen,
Unmoͤglich iſt die Zaͤrtlichkeit des Gegenſtandes zu genieſ-
ſen,
Sie muß aus eigenem Verdienſt zuerſt entſtehen und ent-
ſpringen,
Und, durch des Gegenſtands Vergnuͤgen, uns erſt ein recht
Vergnuͤgen bringen.
Um nun zu dieſem Zweck zu kommen, nehm jeder dieſe Lehr’
in Acht:
Man ziehe der Geliebten Vorzuͤg’ und ſeine Fehler
in Betracht.
Man ſuche ſtets, ſo viel man kann, um ſein Vergnuͤgen zu
vergroͤſſern,
Was an ihr gut iſt, gut zu finden, und ſeine Schwach-
heit zu verbeſſern.
Durchs erſtre wird man zu dem letztern ſchon eine Faͤhigkeit
verſpuͤhren,
Jndem die Furcht ſo vieles Gutes, was man beſitzt, nicht
zu verlieren,
Uns unſre Fehler zu verhehlen, ja gar zu aͤndern, duͤrfte
fuͤhren.
Wofern wir dieſes unterlaſſen, und wir fuͤr alles Gut’
erblinden,
Was der beliebte Gegenſtand beſitzet; wird man bald be-
finden,
Wie wir auch ihr nicht mehr gefallen. Gleich wird die
Wechſel-Luſt verſchwinden.
Gleichguͤlt’ge Kaͤlte wird zuerſt das ſuͤſſe Feur der Liebe
daͤmpfen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/702>, abgerufen am 22.11.2024.
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