Dieß ist ein unerhört Exempel, dem nicht kann wider- sprochen werden, Und ein Beweis, daß, wo wir nicht, auf gleiche Weis', auf dieser Erden Die Sinnen besser zu gebrauchen, vernünftig sehn und hören lernen, (Das heißt: bey unsern Sinnen mehr, als wir gewohnt, ein Ueberlegen Zu fügen, und mit unserm Geist das, was wir sehen, zu erwegen) Wir von dem Wege zu der Wahrheit unwiederbringlich uns entfernen.
Wie aber kann, so wie wir leben, es doch mit uns wohl anders gehn, Da wir oft, ohne Sehen, denken, noch öfters, sonder Denken, sehn! Und es doch mehr als allzu wahr, was ein vernünft'ger Heyde spricht: "Es seh'n und hören Aug- und Ohren, mit allen ihren Kräf- ten, nicht, "Wenn von dem Geist, indem wir seh'n und hören, etwas sonst geschicht. Willt du nun in der Sinnen Schule ein bald geschickter Schüler seyn, Und weißt nicht, ob und wie du doch, in so viel ungezähl- ten Sachen, Auf eine andre beßre Art zu sehen, sollst den Anfang machen; So nimm die erste Lection, und zwar zu Anfangs nur allein: "Theil'alles, was du siehst, nur erst in Farben und Figu- ren ein.
Un-
Ueberzeugendes Exempel.
Dieß iſt ein unerhoͤrt Exempel, dem nicht kann wider- ſprochen werden, Und ein Beweis, daß, wo wir nicht, auf gleiche Weiſ’, auf dieſer Erden Die Sinnen beſſer zu gebrauchen, vernuͤnftig ſehn und hoͤren lernen, (Das heißt: bey unſern Sinnen mehr, als wir gewohnt, ein Ueberlegen Zu fuͤgen, und mit unſerm Geiſt das, was wir ſehen, zu erwegen) Wir von dem Wege zu der Wahrheit unwiederbringlich uns entfernen.
Wie aber kann, ſo wie wir leben, es doch mit uns wohl anders gehn, Da wir oft, ohne Sehen, denken, noch oͤfters, ſonder Denken, ſehn! Und es doch mehr als allzu wahr, was ein vernuͤnft’ger Heyde ſpricht: “Es ſeh’n und hoͤren Aug- und Ohren, mit allen ihren Kraͤf- ten, nicht, „Wenn von dem Geiſt, indem wir ſeh’n und hoͤren, etwas ſonſt geſchicht. Willt du nun in der Sinnen Schule ein bald geſchickter Schuͤler ſeyn, Und weißt nicht, ob und wie du doch, in ſo viel ungezaͤhl- ten Sachen, Auf eine andre beßre Art zu ſehen, ſollſt den Anfang machen; So nimm die erſte Lection, und zwar zu Anfangs nur allein: „Theil’alles, was du ſiehſt, nur erſt in Farben und Figu- ren ein.
Un-
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Ueberzeugendes Exempel.
Dieß iſt ein unerhoͤrt Exempel, dem nicht kann wider-
ſprochen werden,
Und ein Beweis, daß, wo wir nicht, auf gleiche Weiſ’,
auf dieſer Erden
Die Sinnen beſſer zu gebrauchen, vernuͤnftig ſehn und
hoͤren lernen,
(Das heißt: bey unſern Sinnen mehr, als wir gewohnt,
ein Ueberlegen
Zu fuͤgen, und mit unſerm Geiſt das, was wir ſehen, zu
erwegen)
Wir von dem Wege zu der Wahrheit unwiederbringlich
uns entfernen.
Wie aber kann, ſo wie wir leben, es doch mit uns wohl
anders gehn,
Da wir oft, ohne Sehen, denken, noch oͤfters, ſonder
Denken, ſehn!
Und es doch mehr als allzu wahr, was ein vernuͤnft’ger
Heyde ſpricht:
“Es ſeh’n und hoͤren Aug- und Ohren, mit allen ihren Kraͤf-
ten, nicht,
„Wenn von dem Geiſt, indem wir ſeh’n und hoͤren, etwas
ſonſt geſchicht.
Willt du nun in der Sinnen Schule ein bald geſchickter
Schuͤler ſeyn,
Und weißt nicht, ob und wie du doch, in ſo viel ungezaͤhl-
ten Sachen,
Auf eine andre beßre Art zu ſehen, ſollſt den Anfang
machen;
So nimm die erſte Lection, und zwar zu Anfangs nur allein:
„Theil’alles, was du ſiehſt, nur erſt in Farben und Figu-
ren ein.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/684>, abgerufen am 22.11.2024.
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