Das Vieh blöckt in dem leeren Stall, es blöcket auf den öden Weiden, Dort ist kein Futter, hier kein Gras, die ganz enthaarte nackte Haut, So kaum die dürren Knochen deckt, wird ohne Gram nicht angeschaut. Jhr Brüllen bricht des Landmanns Herz, er leidet selbst bey ihrem Leiden; Sieht etwan einst ein Spierchen Gras, das niedrig steht am Wasser-Graben, So stürzet es oft in das Wasser. Man rettet dieses arme Vieh Zuweilen nicht, und es ertrinkt; zuweilen, doch mit vieler Müh, Jndem sie selber sich zu helfen, für Hunger, keine Kräfte haben. So geht es Ochsen, Kühen, Kälbern, den Schaafen gleich- falls, nebst den Pferden, Sie schleppen kaum ihr eigne Last. Nun soll annoch gepflü- get werden. Ja, wo das Unglück sich nicht ändert, wie soll im Herbste doch das Feld, Wenn sie noch weiter sterben sollten, zur nöht'gen Winter- Saat bestellt, Gepflüget und geeget werden? Woher soll Milch und Butter kommen? Woher, zu unsrer Nahrung, Fleisch? Ach, wird denn nun nicht wahrgenommen, Was für ein Schatz im Grase steckt, worauf wir niemahls fast gedacht, Weil es, so lang man denkt und weiß, das Land von selbst hervorgebracht.
Ach,
Klaͤgliche Folgen
Das Vieh bloͤckt in dem leeren Stall, es bloͤcket auf den oͤden Weiden, Dort iſt kein Futter, hier kein Gras, die ganz enthaarte nackte Haut, So kaum die duͤrren Knochen deckt, wird ohne Gram nicht angeſchaut. Jhr Bruͤllen bricht des Landmanns Herz, er leidet ſelbſt bey ihrem Leiden; Sieht etwan einſt ein Spierchen Gras, das niedrig ſteht am Waſſer-Graben, So ſtuͤrzet es oft in das Waſſer. Man rettet dieſes arme Vieh Zuweilen nicht, und es ertrinkt; zuweilen, doch mit vieler Muͤh, Jndem ſie ſelber ſich zu helfen, fuͤr Hunger, keine Kraͤfte haben. So geht es Ochſen, Kuͤhen, Kaͤlbern, den Schaafen gleich- falls, nebſt den Pferden, Sie ſchleppen kaum ihr eigne Laſt. Nun ſoll annoch gepfluͤ- get werden. Ja, wo das Ungluͤck ſich nicht aͤndert, wie ſoll im Herbſte doch das Feld, Wenn ſie noch weiter ſterben ſollten, zur noͤht’gen Winter- Saat beſtellt, Gepfluͤget und geeget werden? Woher ſoll Milch und Butter kommen? Woher, zu unſrer Nahrung, Fleiſch? Ach, wird denn nun nicht wahrgenommen, Was fuͤr ein Schatz im Graſe ſteckt, worauf wir niemahls faſt gedacht, Weil es, ſo lang man denkt und weiß, das Land von ſelbſt hervorgebracht.
Ach,
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Klaͤgliche Folgen
Das Vieh bloͤckt in dem leeren Stall, es bloͤcket auf den
oͤden Weiden,
Dort iſt kein Futter, hier kein Gras, die ganz enthaarte
nackte Haut,
So kaum die duͤrren Knochen deckt, wird ohne Gram nicht
angeſchaut.
Jhr Bruͤllen bricht des Landmanns Herz, er leidet ſelbſt bey
ihrem Leiden;
Sieht etwan einſt ein Spierchen Gras, das niedrig ſteht am
Waſſer-Graben,
So ſtuͤrzet es oft in das Waſſer. Man rettet dieſes arme
Vieh
Zuweilen nicht, und es ertrinkt; zuweilen, doch mit vieler
Muͤh,
Jndem ſie ſelber ſich zu helfen, fuͤr Hunger, keine Kraͤfte
haben.
So geht es Ochſen, Kuͤhen, Kaͤlbern, den Schaafen gleich-
falls, nebſt den Pferden,
Sie ſchleppen kaum ihr eigne Laſt. Nun ſoll annoch gepfluͤ-
get werden.
Ja, wo das Ungluͤck ſich nicht aͤndert, wie ſoll im Herbſte
doch das Feld,
Wenn ſie noch weiter ſterben ſollten, zur noͤht’gen Winter-
Saat beſtellt,
Gepfluͤget und geeget werden? Woher ſoll Milch und
Butter kommen?
Woher, zu unſrer Nahrung, Fleiſch? Ach, wird denn nun
nicht wahrgenommen,
Was fuͤr ein Schatz im Graſe ſteckt, worauf wir niemahls
faſt gedacht,
Weil es, ſo lang man denkt und weiß, das Land von ſelbſt
hervorgebracht.
Ach,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/668>, abgerufen am 22.11.2024.
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