Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Der späte Frost.
Es suchen auf den öden Gründen,
Die sonst so lucker, itzt so hart,
Die armen Schäfgen selbst, erstarrt,
Umsonst, ein Spierchen Gras zu finden.
Jhr lautes Schreyn, ihr ängstlichs Blecken
Scheint Gram und Hunger zu entdecken.
Sie fühlen ihr schon nah Verderben,
Von ihrer nöht'gen Kost beraubt.
Hier senkt ein zartes Lamm sein Haupt;
Dort sieht man alte Schafe sterben.
Der arme Landmann kratzt sein Haar,
Und scheut noch grössere Gefahr;
Jndem er durch den Frost so gar
Sein Winter-Korn verdorben glaubt.
Es ist nunmehro Zeit zu pflügen;
Allein er kann, trotz seinem Fleiß,
Für das annoch vorhandne Eis
Den Pflug nicht in die Erde kriegen.
Er denkt annoch ans vor'ge Jahr,
Wo auch, beym seltnen Licht der Sonnen,
Da es stets kalt und windig war,
Er auch nur wenig Korn gewonnen.
Er hoffet, mit fast müden Sorgen,
Von jedem Heut zum andern Morgen,
Von einer zu der andern Nacht,
Daß sich die kalten Winde legen,
Schnee, Eis und Reif entfernen mögen,
Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht
Sich mit der lauen Luft verbinde,
Und ihre kalte Theil' entzünde.
Allein es ist sein ängstlich Hoffen
Noch bis daher nicht eingetroffen.
O Gott!
R r 2
Der ſpaͤte Froſt.
Es ſuchen auf den oͤden Gruͤnden,
Die ſonſt ſo lucker, itzt ſo hart,
Die armen Schaͤfgen ſelbſt, erſtarrt,
Umſonſt, ein Spierchen Gras zu finden.
Jhr lautes Schreyn, ihr aͤngſtlichs Blecken
Scheint Gram und Hunger zu entdecken.
Sie fuͤhlen ihr ſchon nah Verderben,
Von ihrer noͤht’gen Koſt beraubt.
Hier ſenkt ein zartes Lamm ſein Haupt;
Dort ſieht man alte Schafe ſterben.
Der arme Landmann kratzt ſein Haar,
Und ſcheut noch groͤſſere Gefahr;
Jndem er durch den Froſt ſo gar
Sein Winter-Korn verdorben glaubt.
Es iſt nunmehro Zeit zu pfluͤgen;
Allein er kann, trotz ſeinem Fleiß,
Fuͤr das annoch vorhandne Eis
Den Pflug nicht in die Erde kriegen.
Er denkt annoch ans vor’ge Jahr,
Wo auch, beym ſeltnen Licht der Sonnen,
Da es ſtets kalt und windig war,
Er auch nur wenig Korn gewonnen.
Er hoffet, mit faſt muͤden Sorgen,
Von jedem Heut zum andern Morgen,
Von einer zu der andern Nacht,
Daß ſich die kalten Winde legen,
Schnee, Eis und Reif entfernen moͤgen,
Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht
Sich mit der lauen Luft verbinde,
Und ihre kalte Theil’ entzuͤnde.
Allein es iſt ſein aͤngſtlich Hoffen
Noch bis daher nicht eingetroffen.
O Gott!
R r 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0645" n="627"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der &#x017F;pa&#x0364;te Fro&#x017F;t.</hi> </fw><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Es &#x017F;uchen auf den o&#x0364;den Gru&#x0364;nden,</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o lucker, itzt &#x017F;o hart,</l><lb/>
              <l>Die armen Scha&#x0364;fgen &#x017F;elb&#x017F;t, er&#x017F;tarrt,</l><lb/>
              <l>Um&#x017F;on&#x017F;t, ein Spierchen Gras zu finden.</l><lb/>
              <l>Jhr lautes Schreyn, ihr a&#x0364;ng&#x017F;tlichs Blecken</l><lb/>
              <l>Scheint Gram und Hunger zu entdecken.</l><lb/>
              <l>Sie fu&#x0364;hlen ihr &#x017F;chon nah Verderben,</l><lb/>
              <l>Von ihrer no&#x0364;ht&#x2019;gen Ko&#x017F;t beraubt.</l><lb/>
              <l>Hier &#x017F;enkt ein zartes Lamm &#x017F;ein Haupt;</l><lb/>
              <l>Dort &#x017F;ieht man alte Schafe &#x017F;terben.</l><lb/>
              <l>Der arme Landmann kratzt &#x017F;ein Haar,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;cheut noch gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Gefahr;</l><lb/>
              <l>Jndem er durch den Fro&#x017F;t &#x017F;o gar</l><lb/>
              <l>Sein Winter-Korn verdorben glaubt.</l><lb/>
              <l>Es i&#x017F;t nunmehro Zeit zu pflu&#x0364;gen;</l><lb/>
              <l>Allein er kann, trotz &#x017F;einem Fleiß,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;r das annoch vorhandne Eis</l><lb/>
              <l>Den Pflug nicht in die Erde kriegen.</l><lb/>
              <l>Er denkt annoch ans vor&#x2019;ge Jahr,</l><lb/>
              <l>Wo auch, beym &#x017F;eltnen Licht der Sonnen,</l><lb/>
              <l>Da es &#x017F;tets kalt und windig war,</l><lb/>
              <l>Er auch nur wenig Korn gewonnen.</l><lb/>
              <l>Er hoffet, mit fa&#x017F;t mu&#x0364;den Sorgen,</l><lb/>
              <l>Von jedem Heut zum andern Morgen,</l><lb/>
              <l>Von einer zu der andern Nacht,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ich die kalten Winde legen,</l><lb/>
              <l>Schnee, Eis und Reif entfernen mo&#x0364;gen,</l><lb/>
              <l>Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht</l><lb/>
              <l>Sich mit der lauen Luft verbinde,</l><lb/>
              <l>Und ihre kalte Theil&#x2019; entzu&#x0364;nde.</l><lb/>
              <l>Allein es i&#x017F;t &#x017F;ein a&#x0364;ng&#x017F;tlich Hoffen</l><lb/>
              <l>Noch bis daher nicht eingetroffen.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">R r 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">O Gott!</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0645] Der ſpaͤte Froſt. Es ſuchen auf den oͤden Gruͤnden, Die ſonſt ſo lucker, itzt ſo hart, Die armen Schaͤfgen ſelbſt, erſtarrt, Umſonſt, ein Spierchen Gras zu finden. Jhr lautes Schreyn, ihr aͤngſtlichs Blecken Scheint Gram und Hunger zu entdecken. Sie fuͤhlen ihr ſchon nah Verderben, Von ihrer noͤht’gen Koſt beraubt. Hier ſenkt ein zartes Lamm ſein Haupt; Dort ſieht man alte Schafe ſterben. Der arme Landmann kratzt ſein Haar, Und ſcheut noch groͤſſere Gefahr; Jndem er durch den Froſt ſo gar Sein Winter-Korn verdorben glaubt. Es iſt nunmehro Zeit zu pfluͤgen; Allein er kann, trotz ſeinem Fleiß, Fuͤr das annoch vorhandne Eis Den Pflug nicht in die Erde kriegen. Er denkt annoch ans vor’ge Jahr, Wo auch, beym ſeltnen Licht der Sonnen, Da es ſtets kalt und windig war, Er auch nur wenig Korn gewonnen. Er hoffet, mit faſt muͤden Sorgen, Von jedem Heut zum andern Morgen, Von einer zu der andern Nacht, Daß ſich die kalten Winde legen, Schnee, Eis und Reif entfernen moͤgen, Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht Sich mit der lauen Luft verbinde, Und ihre kalte Theil’ entzuͤnde. Allein es iſt ſein aͤngſtlich Hoffen Noch bis daher nicht eingetroffen. O Gott! R r 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/645
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/645>, abgerufen am 22.11.2024.