Sich nackt nunmehro sehen lassen. Die armen Kinderchen verlangen, Mit nie fast unterbrochnem Schreyn, die nöht'ge Nahrung zu empfangen. O, welche holde Leidenschaft, voll Sorg' und süsser Zärt- lichkeit, Erfüllt der neuen Eltern Herz! Sie fliegen, voller Liebe, fort, Sie suchen, was der jungen Zucht zur Nahrung dient, an jedem Ort, Und bringen, fühllos für sich selbst, es ihnen, da sie jeden Bissen Mit einem richt'gen Maaß, in Ordnung, den Jungen auszu- theilen wissen. Sie suchen mehr. Auf diese Weise, die ja wohl recht bewun- dernswehrt, Wird, (durch den starken Trieb, der ihnen des Himmels Vorsicht eingepräget, Und der sie durch das schmachtend' Auge der jungen Zucht so sehr beweget, Daß sie sich selbst der Kost berauben, wie öfters zu geschehen pfleget, Da sie den Kleinen alles reichen) das fliegende Geschlecht ernährt. Dieß sind die Sorgen noch nicht alle. Wenn öfters ein verwegner Fuß Sich dem versteckten Neste naht; so stiehlt der Vogel sich davon Jn einen nahen Busch, und sucht von dort, mit einem lauten Ton, Den frechen Schüler zu verführen. Damit er ihm nun folgen muß;
So
Fruͤhlings-Gedicht.
Sich nackt nunmehro ſehen laſſen. Die armen Kinderchen verlangen, Mit nie faſt unterbrochnem Schreyn, die noͤht’ge Nahrung zu empfangen. O, welche holde Leidenſchaft, voll Sorg’ und ſuͤſſer Zaͤrt- lichkeit, Erfuͤllt der neuen Eltern Herz! Sie fliegen, voller Liebe, fort, Sie ſuchen, was der jungen Zucht zur Nahrung dient, an jedem Ort, Und bringen, fuͤhllos fuͤr ſich ſelbſt, es ihnen, da ſie jeden Biſſen Mit einem richt’gen Maaß, in Ordnung, den Jungen auszu- theilen wiſſen. Sie ſuchen mehr. Auf dieſe Weiſe, die ja wohl recht bewun- dernswehrt, Wird, (durch den ſtarken Trieb, der ihnen des Himmels Vorſicht eingepraͤget, Und der ſie durch das ſchmachtend’ Auge der jungen Zucht ſo ſehr beweget, Daß ſie ſich ſelbſt der Koſt berauben, wie oͤfters zu geſchehen pfleget, Da ſie den Kleinen alles reichen) das fliegende Geſchlecht ernaͤhrt. Dieß ſind die Sorgen noch nicht alle. Wenn oͤfters ein verwegner Fuß Sich dem verſteckten Neſte naht; ſo ſtiehlt der Vogel ſich davon Jn einen nahen Buſch, und ſucht von dort, mit einem lauten Ton, Den frechen Schuͤler zu verfuͤhren. Damit er ihm nun folgen muß;
So
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Fruͤhlings-Gedicht.
Sich nackt nunmehro ſehen laſſen. Die armen Kinderchen
verlangen,
Mit nie faſt unterbrochnem Schreyn, die noͤht’ge Nahrung
zu empfangen.
O, welche holde Leidenſchaft, voll Sorg’ und ſuͤſſer Zaͤrt-
lichkeit,
Erfuͤllt der neuen Eltern Herz! Sie fliegen, voller Liebe, fort,
Sie ſuchen, was der jungen Zucht zur Nahrung dient, an
jedem Ort,
Und bringen, fuͤhllos fuͤr ſich ſelbſt, es ihnen, da ſie jeden
Biſſen
Mit einem richt’gen Maaß, in Ordnung, den Jungen auszu-
theilen wiſſen.
Sie ſuchen mehr. Auf dieſe Weiſe, die ja wohl recht bewun-
dernswehrt,
Wird, (durch den ſtarken Trieb, der ihnen des Himmels
Vorſicht eingepraͤget,
Und der ſie durch das ſchmachtend’ Auge der jungen Zucht ſo
ſehr beweget,
Daß ſie ſich ſelbſt der Koſt berauben, wie oͤfters zu geſchehen
pfleget,
Da ſie den Kleinen alles reichen) das fliegende Geſchlecht
ernaͤhrt.
Dieß ſind die Sorgen noch nicht alle. Wenn oͤfters ein
verwegner Fuß
Sich dem verſteckten Neſte naht; ſo ſtiehlt der Vogel ſich
davon
Jn einen nahen Buſch, und ſucht von dort, mit einem lauten
Ton,
Den frechen Schuͤler zu verfuͤhren. Damit er ihm nun
folgen muß;
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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