Konnt' ich damahls wohl mit Recht mich erdreisten, mich erkühnen, So viel Gutes zu verlangen, ohn' es jemahls zu verdienen? Nein. Wann ging die Zeit denn an, da sich mein Verdienst so weit, Mit gegründeter Befugmß, und nach Recht und Billigkeit, Konnt' erstrecken, nichts als Guts, lauter Segen zu verlan- gen? Ach, die Zeit ist noch nicht da! Warum will ich denn doch klagen, Und, wenn mir was menschliches überkömmt, es nicht ertra- gen? Die gereinigte Vernunft läßt mir diese wahren Lehren, Die untadelhaften Schlüsse, die gegründet, billig hören.
Aber hat mir GOtt denn auch die Empfindung nicht geschenket? Soll ich vor des Unglücks Plagen, vor Verdruß, vor Noht und Pein, Und was sonst in unserm Leben, auf so manche Weis', uns kränket, Wie ein Stein denn ungerühret, gänzlich unempfindlich seyn? Dieß, so viel ich es begreife, will von uns der Schöpfer nicht, Sondern, daß wir, wenn wir leiden, in gelaßner Zuversicht, Uns zu Seiner Liebe wenden, Jhn allein um Hülf' anflehn, Und, durch Demuht und Vertrauen, Seine Macht und Lieb' erhöhn. Dieses thu ich denn anitzt, grosses Wesen aller Wesen! Der Du mich bisher zum Vorwurf Deiner Lieb' und Huld erlesen.
Ach,
An meinem Gebuhrts-Tage.
Konnt’ ich damahls wohl mit Recht mich erdreiſten, mich erkuͤhnen, So viel Gutes zu verlangen, ohn’ es jemahls zu verdienen? Nein. Wann ging die Zeit denn an, da ſich mein Verdienſt ſo weit, Mit gegruͤndeter Befugmß, und nach Recht und Billigkeit, Konnt’ erſtrecken, nichts als Guts, lauter Segen zu verlan- gen? Ach, die Zeit iſt noch nicht da! Warum will ich denn doch klagen, Und, wenn mir was menſchliches uͤberkoͤmmt, es nicht ertra- gen? Die gereinigte Vernunft laͤßt mir dieſe wahren Lehren, Die untadelhaften Schluͤſſe, die gegruͤndet, billig hoͤren.
Aber hat mir GOtt denn auch die Empfindung nicht geſchenket? Soll ich vor des Ungluͤcks Plagen, vor Verdruß, vor Noht und Pein, Und was ſonſt in unſerm Leben, auf ſo manche Weiſ’, uns kraͤnket, Wie ein Stein denn ungeruͤhret, gaͤnzlich unempfindlich ſeyn? Dieß, ſo viel ich es begreife, will von uns der Schoͤpfer nicht, Sondern, daß wir, wenn wir leiden, in gelaßner Zuverſicht, Uns zu Seiner Liebe wenden, Jhn allein um Huͤlf’ anflehn, Und, durch Demuht und Vertrauen, Seine Macht und Lieb’ erhoͤhn. Dieſes thu ich denn anitzt, groſſes Weſen aller Weſen! Der Du mich bisher zum Vorwurf Deiner Lieb’ und Huld erleſen.
Ach,
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An meinem Gebuhrts-Tage.
Konnt’ ich damahls wohl mit Recht mich erdreiſten, mich
erkuͤhnen,
So viel Gutes zu verlangen, ohn’ es jemahls zu verdienen?
Nein. Wann ging die Zeit denn an, da ſich mein Verdienſt
ſo weit,
Mit gegruͤndeter Befugmß, und nach Recht und Billigkeit,
Konnt’ erſtrecken, nichts als Guts, lauter Segen zu verlan-
gen?
Ach, die Zeit iſt noch nicht da! Warum will ich denn doch
klagen,
Und, wenn mir was menſchliches uͤberkoͤmmt, es nicht ertra-
gen?
Die gereinigte Vernunft laͤßt mir dieſe wahren Lehren,
Die untadelhaften Schluͤſſe, die gegruͤndet, billig hoͤren.
Aber hat mir GOtt denn auch die Empfindung nicht
geſchenket?
Soll ich vor des Ungluͤcks Plagen, vor Verdruß, vor Noht
und Pein,
Und was ſonſt in unſerm Leben, auf ſo manche Weiſ’, uns
kraͤnket,
Wie ein Stein denn ungeruͤhret, gaͤnzlich unempfindlich ſeyn?
Dieß, ſo viel ich es begreife, will von uns der Schoͤpfer
nicht,
Sondern, daß wir, wenn wir leiden, in gelaßner Zuverſicht,
Uns zu Seiner Liebe wenden, Jhn allein um Huͤlf’ anflehn,
Und, durch Demuht und Vertrauen, Seine Macht und Lieb’
erhoͤhn.
Dieſes thu ich denn anitzt, groſſes Weſen aller Weſen!
Der Du mich bisher zum Vorwurf Deiner Lieb’ und Huld
erleſen.
Ach,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/495>, abgerufen am 22.11.2024.
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