Die unglückselige Gewohnheit macht allein, Daß solche Wunder-Werk' uns nicht beträchtlich seyn, Daß wir, da wir sie nicht betrachten, Sie nicht des Denkens würdig achten.
Wenn jemand dieß, wenn wir es nie geseh'n, Als eine Kunst uns zeigt'; wie würde man sie schätzen, Würd' es uns nicht fast aus uns selber setzen, Wie würden wir den Meister nicht erhöh'n! Es ändert ja der Raupen-Wurm nicht nur Die Farb' und die Figur, Woraus die Dinge sonst bestehen, Er ändert wirklich die Natur, Wie wir ja augenscheinlich sehen.
Nun sollte man annoch, bey diesem Wunder, denken: Warum denn GOtt der HErr solch' eine Gabe Solch einem schlechten Wurm zu schenken, Vor andern, doch gewürdigt habe? Allein, mich deucht, daß dieser Schluß Aus diesen Ordnungen natürlich fliessen muß:
"Da die Verwandelung und Besserung ja Statt "Bey so verworfnen Thieren hat; "Was wird nicht GOtt vielmehr geneigt seyn uns zu gönnen, "Und wie vielmehr wird er uns geben können?
So dacht' ich ungefehr. Bis von der Raupen Wesen, Gelehrter Reaumur, ich deine Schrift gelesen, Die alle andre übersteiget, Worinn du uns ganz klar gezeiget,
Daß
7 Theil. Y
uͤber Schmetterlinge.
Die ungluͤckſelige Gewohnheit macht allein, Daß ſolche Wunder-Werk’ uns nicht betraͤchtlich ſeyn, Daß wir, da wir ſie nicht betrachten, Sie nicht des Denkens wuͤrdig achten.
Wenn jemand dieß, wenn wir es nie geſeh’n, Als eine Kunſt uns zeigt’; wie wuͤrde man ſie ſchaͤtzen, Wuͤrd’ es uns nicht faſt aus uns ſelber ſetzen, Wie wuͤrden wir den Meiſter nicht erhoͤh’n! Es aͤndert ja der Raupen-Wurm nicht nur Die Farb’ und die Figur, Woraus die Dinge ſonſt beſtehen, Er aͤndert wirklich die Natur, Wie wir ja augenſcheinlich ſehen.
Nun ſollte man annoch, bey dieſem Wunder, denken: Warum denn GOtt der HErr ſolch’ eine Gabe Solch einem ſchlechten Wurm zu ſchenken, Vor andern, doch gewuͤrdigt habe? Allein, mich deucht, daß dieſer Schluß Aus dieſen Ordnungen natuͤrlich flieſſen muß:
“Da die Verwandelung und Beſſerung ja Statt „Bey ſo verworfnen Thieren hat; „Was wird nicht GOtt vielmehr geneigt ſeyn uns zu goͤnnen, „Und wie vielmehr wird er uns geben koͤnnen?
So dacht’ ich ungefehr. Bis von der Raupen Weſen, Gelehrter Reaumur, ich deine Schrift geleſen, Die alle andre uͤberſteiget, Worinn du uns ganz klar gezeiget,
Daß
7 Theil. Y
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uͤber Schmetterlinge.
Die ungluͤckſelige Gewohnheit macht allein,
Daß ſolche Wunder-Werk’ uns nicht betraͤchtlich ſeyn,
Daß wir, da wir ſie nicht betrachten,
Sie nicht des Denkens wuͤrdig achten.
Wenn jemand dieß, wenn wir es nie geſeh’n,
Als eine Kunſt uns zeigt’; wie wuͤrde man ſie ſchaͤtzen,
Wuͤrd’ es uns nicht faſt aus uns ſelber ſetzen,
Wie wuͤrden wir den Meiſter nicht erhoͤh’n!
Es aͤndert ja der Raupen-Wurm nicht nur
Die Farb’ und die Figur,
Woraus die Dinge ſonſt beſtehen,
Er aͤndert wirklich die Natur,
Wie wir ja augenſcheinlich ſehen.
Nun ſollte man annoch, bey dieſem Wunder, denken:
Warum denn GOtt der HErr ſolch’ eine Gabe
Solch einem ſchlechten Wurm zu ſchenken,
Vor andern, doch gewuͤrdigt habe?
Allein, mich deucht, daß dieſer Schluß
Aus dieſen Ordnungen natuͤrlich flieſſen muß:
“Da die Verwandelung und Beſſerung ja Statt
„Bey ſo verworfnen Thieren hat;
„Was wird nicht GOtt vielmehr geneigt ſeyn uns
zu goͤnnen,
„Und wie vielmehr wird er uns geben koͤnnen?
So dacht’ ich ungefehr. Bis von der Raupen Weſen,
Gelehrter Reaumur, ich deine Schrift geleſen,
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Worinn du uns ganz klar gezeiget,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/355>, abgerufen am 22.11.2024.
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