Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Der geflügelte Lehrer.
Der Primulen gebrochner Schimmer, die neben den Aurickeln schön,
Jn einer angenehmen Mischung, von ungezählten Farben, stehn!

Ein süsser Glanz bedeckte sie, ein buntes Feuer glimmt in
ihnen,

So daß sie mehr in feurigem, als in gefärbtem, Schimmer
schienen.

Durchleuchtig war ihr bunter Körper, wodurch das Licht so
lieblich fiel,

Es glich fast einer bunten Lohe, und dennoch ist ihr Körper kühl.
Jndem ich diesen bunten Glanz beschaue, sah ich, mit Ergetzen,
Ein kleines zahmes Vögelchen sich auf das Glas voll Blu-
men setzen,

Es drehte seinen kleinen Kopf; es hüpfte, freute sich, und sprang
Von einer Blum auf eine andre; sein lieblich schwitzernder
Gesang

Schien Lust und Dank zugleich zu zeigen. Es fand der Blu-
men Pracht so schön;

Es schien, es kunnte sich an sie, mit Lust, nicht satt, nicht müde
sehn.
Sein kleines Schnäblein hackt' und pickte, jedoch so sanfte
hier und dar,

Daß weder an dem Stiel noch Blume, nichts, so versehrt, zu
sehen war.
Jch dachte: Kann der Blumen Prangen so gar auch un-
verständgen Thieren

Den lang nicht so vollkommnen Geist, als unsrer ist, durchs
Auge, rühren:

So sollten Menschen ja wohl billig der Unempfindlichkeit sich
schämen,
Und
D 4

Der gefluͤgelte Lehrer.
Der Primulen gebrochner Schim̃er, die neben den Aurickeln ſchoͤn,
Jn einer angenehmen Miſchung, von ungezaͤhlten Farben, ſtehn!

Ein ſuͤſſer Glanz bedeckte ſie, ein buntes Feuer glimmt in
ihnen,

So daß ſie mehr in feurigem, als in gefaͤrbtem, Schimmer
ſchienen.

Durchleuchtig war ihr bunter Koͤrper, wodurch das Licht ſo
lieblich fiel,

Es glich faſt einer bunten Lohe, und dennoch iſt ihr Koͤrper kuͤhl.
Jndem ich dieſen bunten Glanz beſchaue, ſah ich, mit Ergetzen,
Ein kleines zahmes Voͤgelchen ſich auf das Glas voll Blu-
men ſetzen,

Es drehte ſeinen kleinen Kopf; es huͤpfte, freute ſich, und ſprang
Von einer Blum auf eine andre; ſein lieblich ſchwitzernder
Geſang

Schien Luſt und Dank zugleich zu zeigen. Es fand der Blu-
men Pracht ſo ſchoͤn;

Es ſchien, es kunnte ſich an ſie, mit Luſt, nicht ſatt, nicht muͤde
ſehn.
Sein kleines Schnaͤblein hackt’ und pickte, jedoch ſo ſanfte
hier und dar,

Daß weder an dem Stiel noch Blume, nichts, ſo verſehrt, zu
ſehen war.
Jch dachte: Kann der Blumen Prangen ſo gar auch un-
verſtaͤndgen Thieren

Den lang nicht ſo vollkommnen Geiſt, als unſrer iſt, durchs
Auge, ruͤhren:

So ſollten Menſchen ja wohl billig der Unempfindlichkeit ſich
ſchaͤmen,
Und
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="2">
            <l><pb facs="#f0079" n="55"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der geflu&#x0364;gelte Lehrer.</hi></fw><lb/>
Der Primulen gebrochner Schim&#x0303;er, die neben den Aurickeln &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
            <l>Jn einer angenehmen Mi&#x017F;chung, von ungeza&#x0364;hlten Farben, &#x017F;tehn!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Ein &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Glanz bedeckte &#x017F;ie, ein buntes Feuer glimmt in<lb/><hi rendition="#et">ihnen,</hi></l><lb/>
            <l>So daß &#x017F;ie mehr in feurigem, als in gefa&#x0364;rbtem, Schimmer<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chienen.</hi></l><lb/>
            <l>Durchleuchtig war ihr bunter Ko&#x0364;rper, wodurch das Licht &#x017F;o<lb/><hi rendition="#et">lieblich fiel,</hi></l><lb/>
            <l>Es glich fa&#x017F;t einer bunten Lohe, und dennoch i&#x017F;t ihr Ko&#x0364;rper ku&#x0364;hl.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Jndem ich die&#x017F;en bunten Glanz be&#x017F;chaue, &#x017F;ah ich, mit Ergetzen,</l><lb/>
            <l>Ein kleines zahmes Vo&#x0364;gelchen &#x017F;ich auf das Glas voll Blu-<lb/><hi rendition="#et">men &#x017F;etzen,</hi></l><lb/>
            <l>Es drehte &#x017F;einen kleinen Kopf; es hu&#x0364;pfte, freute &#x017F;ich, und &#x017F;prang</l><lb/>
            <l>Von einer Blum auf eine andre; &#x017F;ein lieblich &#x017F;chwitzernder<lb/><hi rendition="#et">Ge&#x017F;ang</hi></l><lb/>
            <l>Schien Lu&#x017F;t und Dank zugleich zu zeigen. Es fand der Blu-<lb/><hi rendition="#et">men Pracht &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n;</hi></l><lb/>
            <l>Es &#x017F;chien, es kunnte &#x017F;ich an &#x017F;ie, mit Lu&#x017F;t, nicht &#x017F;att, nicht mu&#x0364;de<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehn.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Sein kleines Schna&#x0364;blein hackt&#x2019; und pickte, jedoch &#x017F;o &#x017F;anfte<lb/><hi rendition="#et">hier und dar,</hi></l><lb/>
            <l>Daß weder an dem Stiel noch Blume, nichts, &#x017F;o ver&#x017F;ehrt, zu<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehen war.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="6">
            <l>Jch dachte: Kann der Blumen Prangen &#x017F;o gar auch un-<lb/><hi rendition="#et">ver&#x017F;ta&#x0364;ndgen Thieren</hi></l><lb/>
            <l>Den lang nicht &#x017F;o vollkommnen Gei&#x017F;t, als un&#x017F;rer i&#x017F;t, durchs<lb/><hi rendition="#et">Auge, ru&#x0364;hren:</hi></l><lb/>
            <l>So &#x017F;ollten Men&#x017F;chen ja wohl billig der Unempfindlichkeit &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;cha&#x0364;men,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0079] Der gefluͤgelte Lehrer. Der Primulen gebrochner Schim̃er, die neben den Aurickeln ſchoͤn, Jn einer angenehmen Miſchung, von ungezaͤhlten Farben, ſtehn! Ein ſuͤſſer Glanz bedeckte ſie, ein buntes Feuer glimmt in ihnen, So daß ſie mehr in feurigem, als in gefaͤrbtem, Schimmer ſchienen. Durchleuchtig war ihr bunter Koͤrper, wodurch das Licht ſo lieblich fiel, Es glich faſt einer bunten Lohe, und dennoch iſt ihr Koͤrper kuͤhl. Jndem ich dieſen bunten Glanz beſchaue, ſah ich, mit Ergetzen, Ein kleines zahmes Voͤgelchen ſich auf das Glas voll Blu- men ſetzen, Es drehte ſeinen kleinen Kopf; es huͤpfte, freute ſich, und ſprang Von einer Blum auf eine andre; ſein lieblich ſchwitzernder Geſang Schien Luſt und Dank zugleich zu zeigen. Es fand der Blu- men Pracht ſo ſchoͤn; Es ſchien, es kunnte ſich an ſie, mit Luſt, nicht ſatt, nicht muͤde ſehn. Sein kleines Schnaͤblein hackt’ und pickte, jedoch ſo ſanfte hier und dar, Daß weder an dem Stiel noch Blume, nichts, ſo verſehrt, zu ſehen war. Jch dachte: Kann der Blumen Prangen ſo gar auch un- verſtaͤndgen Thieren Den lang nicht ſo vollkommnen Geiſt, als unſrer iſt, durchs Auge, ruͤhren: So ſollten Menſchen ja wohl billig der Unempfindlichkeit ſich ſchaͤmen, Und D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/79
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/79>, abgerufen am 05.12.2024.