Es scheint der Finger der Natur, durch deine Hand, sich zu bestreben, Uns Menschen eine neue Probe von unsers Geistes Kraft zu geben.
Je mehr ich die zarte und fast unsichtbare Kleinheit ihrer Arbeit betrachte, je weniger begreife ich, auf welche Weise solche verfertiget, und verfalle immer auf die Verglei- chung Mademoiselle mit ihrer Kunst und der unbegreif- lichen Arbeit der Natur.
Recht wie die Werke der Natur, Wovon wir zwar das Ganze sehen, Doch fast nicht die geringste Spur, Von Theilchen, woraus sie bestehen: So scheinen ebenfalls der weisen Weisen Werke, Jndem ich ganze Wunder merke, Da doch die Stich, als Theile, nicht| nur klein, Und ihres Zwirns so zarte Fäser, Auch selber durch Vergrößrungs-Gläser, Kaum unsern Augen sichtbar seyn.
Jch habe wohl ehe Mannspersonen, bey Erblickung einer vortrefflichen Schilderey, für Verwunderung stumm werden sehen, welches gewiß eine besondere Kraft der Kunst angezeiget. Allein bey ihrer Arbeit, Mademoi- selle, wird auch das Frauenzimmer stumm, welches (wenn ein kleiner Scherz erlaubet) ja wohl für ein weit größer Wunder zu rechnen ist.
Allein, Bey dieser Hände Werke, das gar zu ungemein; Was ist von ihrem Brief, und ihrem Vers zu sagen?
Richts
Schreiben an Mademoiſſe Weiſen
Es ſcheint der Finger der Natur, durch deine Hand, ſich zu beſtreben, Uns Menſchen eine neue Probe von unſers Geiſtes Kraft zu geben.
Je mehr ich die zarte und faſt unſichtbare Kleinheit ihrer Arbeit betrachte, je weniger begreife ich, auf welche Weiſe ſolche verfertiget, und verfalle immer auf die Verglei- chung Mademoiſelle mit ihrer Kunſt und der unbegreif- lichen Arbeit der Natur.
Recht wie die Werke der Natur, Wovon wir zwar das Ganze ſehen, Doch faſt nicht die geringſte Spur, Von Theilchen, woraus ſie beſtehen: So ſcheinen ebenfalls der weiſen Weiſen Werke, Jndem ich ganze Wunder merke, Da doch die Stich, als Theile, nicht| nur klein, Und ihres Zwirns ſo zarte Faͤſer, Auch ſelber durch Vergroͤßrungs-Glaͤſer, Kaum unſern Augen ſichtbar ſeyn.
Jch habe wohl ehe Mannsperſonen, bey Erblickung einer vortrefflichen Schilderey, fuͤr Verwunderung ſtumm werden ſehen, welches gewiß eine beſondere Kraft der Kunſt angezeiget. Allein bey ihrer Arbeit, Mademoi- ſelle, wird auch das Frauenzimmer ſtumm, welches (wenn ein kleiner Scherz erlaubet) ja wohl fuͤr ein weit groͤßer Wunder zu rechnen iſt.
Allein, Bey dieſer Haͤnde Werke, das gar zu ungemein; Was iſt von ihrem Brief, und ihrem Vers zu ſagen?
Richts
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[538/0562]
Schreiben an Mademoiſſe Weiſen
Es ſcheint der Finger der Natur, durch deine Hand, ſich zu
beſtreben,
Uns Menſchen eine neue Probe von unſers Geiſtes Kraft
zu geben.
Je mehr ich die zarte und faſt unſichtbare Kleinheit ihrer
Arbeit betrachte, je weniger begreife ich, auf welche Weiſe
ſolche verfertiget, und verfalle immer auf die Verglei-
chung Mademoiſelle mit ihrer Kunſt und der unbegreif-
lichen Arbeit der Natur.
Recht wie die Werke der Natur,
Wovon wir zwar das Ganze ſehen,
Doch faſt nicht die geringſte Spur,
Von Theilchen, woraus ſie beſtehen:
So ſcheinen ebenfalls der weiſen Weiſen Werke,
Jndem ich ganze Wunder merke,
Da doch die Stich, als Theile, nicht| nur klein,
Und ihres Zwirns ſo zarte Faͤſer,
Auch ſelber durch Vergroͤßrungs-Glaͤſer,
Kaum unſern Augen ſichtbar ſeyn.
Jch habe wohl ehe Mannsperſonen, bey Erblickung einer
vortrefflichen Schilderey, fuͤr Verwunderung ſtumm
werden ſehen, welches gewiß eine beſondere Kraft der
Kunſt angezeiget. Allein bey ihrer Arbeit, Mademoi-
ſelle, wird auch das Frauenzimmer ſtumm, welches (wenn
ein kleiner Scherz erlaubet) ja wohl fuͤr ein weit groͤßer
Wunder zu rechnen iſt.
Allein,
Bey dieſer Haͤnde Werke, das gar zu ungemein;
Was iſt von ihrem Brief, und ihrem Vers zu ſagen?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/562>, abgerufen am 22.11.2024.
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