Es stund ein starker Pfahl, auch eine schlanke Weyde An einem breiten Fluß, der sich im Herbst ergossen. Sie waren folglich alle beyde Vom ausgetretnen Strom beflossen. Nun fing der strenge Nord ergrimmt an, zu regieren, Und durch den scharfen Hauch das Wasser zuzufrieren. Von scharfen Schollen schwall die Strudel-reiche Fluth, Und zeigt in Wirbeln, Schaum und Brausen, ihre Wuth, Das Treib-Eis häufte sich, und preßt, im strengen Gange, Was ihm entgegen stund, die Weyde beugte sich Vor dem für sie zu starken Drange. Jndessen, daß der Pfahl nicht um ein Haar breit wich, Und durch sich selbst gesteift, noch Kraft noch Muth verlieret. Allein des Eises Macht ward größer, und der Pfahl Wurd auf einmal Heraus gerissen, weggeführet. Die Weide fühlte zwar auch an der Rinde Wunden: Allein, sie hub so gut, als wie zuvor, Nachdem das Eis vorbey, das Haupt empor, Vom Pfahl indessen ward die Stelle nicht gefunden. Du bist, geliebtes Vaterland, wie wir in alten Schriften lesen, Bey nicht so allgemeinem Sturm gar oft ein Weydenbaum gewesen. So sey denn auch vor diesesmal, Da mehr, als je, die Winde stürmen, Und keine Stützen dich beschirmen, Wie groß dein Recht auch, doch kein Pfahl.
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Fabel.
Fabel.
Es ſtund ein ſtarker Pfahl, auch eine ſchlanke Weyde An einem breiten Fluß, der ſich im Herbſt ergoſſen. Sie waren folglich alle beyde Vom ausgetretnen Strom befloſſen. Nun fing der ſtrenge Nord ergrimmt an, zu regieren, Und durch den ſcharfen Hauch das Waſſer zuzufrieren. Von ſcharfen Schollen ſchwall die Strudel-reiche Fluth, Und zeigt in Wirbeln, Schaum und Brauſen, ihre Wuth, Das Treib-Eis haͤufte ſich, und preßt, im ſtrengen Gange, Was ihm entgegen ſtund, die Weyde beugte ſich Vor dem fuͤr ſie zu ſtarken Drange. Jndeſſen, daß der Pfahl nicht um ein Haar breit wich, Und durch ſich ſelbſt geſteift, noch Kraft noch Muth verlieret. Allein des Eiſes Macht ward groͤßer, und der Pfahl Wurd auf einmal Heraus geriſſen, weggefuͤhret. Die Weide fuͤhlte zwar auch an der Rinde Wunden: Allein, ſie hub ſo gut, als wie zuvor, Nachdem das Eis vorbey, das Haupt empor, Vom Pfahl indeſſen ward die Stelle nicht gefunden. Du biſt, geliebtes Vaterland, wie wir in alten Schriften leſen, Bey nicht ſo allgemeinem Sturm gar oft ein Weydenbaum geweſen. So ſey denn auch vor dieſesmal, Da mehr, als je, die Winde ſtuͤrmen, Und keine Stuͤtzen dich beſchirmen, Wie groß dein Recht auch, doch kein Pfahl.
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Fabel.
Fabel.
Es ſtund ein ſtarker Pfahl, auch eine ſchlanke Weyde
An einem breiten Fluß, der ſich im Herbſt ergoſſen.
Sie waren folglich alle beyde
Vom ausgetretnen Strom befloſſen.
Nun fing der ſtrenge Nord ergrimmt an, zu regieren,
Und durch den ſcharfen Hauch das Waſſer zuzufrieren.
Von ſcharfen Schollen ſchwall die Strudel-reiche Fluth,
Und zeigt in Wirbeln, Schaum und Brauſen, ihre Wuth,
Das Treib-Eis haͤufte ſich, und preßt, im ſtrengen Gange,
Was ihm entgegen ſtund, die Weyde beugte ſich
Vor dem fuͤr ſie zu ſtarken Drange.
Jndeſſen, daß der Pfahl nicht um ein Haar breit wich,
Und durch ſich ſelbſt geſteift, noch Kraft noch Muth verlieret.
Allein des Eiſes Macht ward groͤßer, und der Pfahl
Wurd auf einmal
Heraus geriſſen, weggefuͤhret.
Die Weide fuͤhlte zwar auch an der Rinde Wunden:
Allein, ſie hub ſo gut, als wie zuvor,
Nachdem das Eis vorbey, das Haupt empor,
Vom Pfahl indeſſen ward die Stelle nicht gefunden.
Du biſt, geliebtes Vaterland, wie wir in alten Schriften leſen,
Bey nicht ſo allgemeinem Sturm gar oft ein Weydenbaum
geweſen.
So ſey denn auch vor dieſesmal,
Da mehr, als je, die Winde ſtuͤrmen,
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Wie groß dein Recht auch, doch kein Pfahl.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/543>, abgerufen am 25.11.2024.
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