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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

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Die Werkstatt der Seelen.
Daß sie im Himmel, in der Hölle, in Ost und Westen, wie
es scheinet,
Gedanken von sich senden könne, daß es bald nach America,
Nach Nova Zembla, bald zum Südpol, bald wiederum
nach Asia,

Sie wegzuschicken, gar nicht möglich; nein, daß die Seele
fort und fort,

Samt ihren Kindern, den Gedanken, beständig an demselben
Ort,

So lang wir leben, bleibt und wirkt. Die Bilder, die sich
in sie senken,

Durch nie verschloßner Sinnen Thüren, weis sie auf tausend
Art zu lenken,

Zu fügen, wiederum zu trennen, sie zu vergleichen, zu be-
denken,

Sie zu vergessen, zu behalten, sie zu verwerfen, sie zu wählen,
Sie zu verändern, bald sich lange mit ihnen gleichsam zu ver-
mählen,

Bald wieder sich von ihnen scheiden, bald recht zu haben, bald
zu fehlen,

Bald sich an einigen zu ärgern, an andern bald sich zu er-
getzen,

Bald aus verschiednen ein Gebäud errichten, und zusammen
setzen,

Fällt ihr zuweilen leicht, bald schwer. Dieß scheint das wahre
Thun der Seelen.

Die Dunkelheit des Seelen-Sitzes scheint etwas helles
zu entdecken,

Und zu derselbigen Betrachtung ein Licht uns gleichsam an-
zustecken.
Kommt

Die Werkſtatt der Seelen.
Daß ſie im Himmel, in der Hoͤlle, in Oſt und Weſten, wie
es ſcheinet,
Gedanken von ſich ſenden koͤnne, daß es bald nach America,
Nach Nova Zembla, bald zum Suͤdpol, bald wiederum
nach Aſia,

Sie wegzuſchicken, gar nicht moͤglich; nein, daß die Seele
fort und fort,

Samt ihren Kindern, den Gedanken, beſtaͤndig an demſelben
Ort,

So lang wir leben, bleibt und wirkt. Die Bilder, die ſich
in ſie ſenken,

Durch nie verſchloßner Sinnen Thuͤren, weis ſie auf tauſend
Art zu lenken,

Zu fuͤgen, wiederum zu trennen, ſie zu vergleichen, zu be-
denken,

Sie zu vergeſſen, zu behalten, ſie zu verwerfen, ſie zu waͤhlen,
Sie zu veraͤndern, bald ſich lange mit ihnen gleichſam zu ver-
maͤhlen,

Bald wieder ſich von ihnen ſcheiden, bald recht zu haben, bald
zu fehlen,

Bald ſich an einigen zu aͤrgern, an andern bald ſich zu er-
getzen,

Bald aus verſchiednen ein Gebaͤud errichten, und zuſammen
ſetzen,

Faͤllt ihr zuweilen leicht, bald ſchwer. Dieß ſcheint das wahre
Thun der Seelen.

Die Dunkelheit des Seelen-Sitzes ſcheint etwas helles
zu entdecken,

Und zu derſelbigen Betrachtung ein Licht uns gleichſam an-
zuſtecken.
Kommt
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[447/0471] Die Werkſtatt der Seelen. Daß ſie im Himmel, in der Hoͤlle, in Oſt und Weſten, wie es ſcheinet, Gedanken von ſich ſenden koͤnne, daß es bald nach America, Nach Nova Zembla, bald zum Suͤdpol, bald wiederum nach Aſia, Sie wegzuſchicken, gar nicht moͤglich; nein, daß die Seele fort und fort, Samt ihren Kindern, den Gedanken, beſtaͤndig an demſelben Ort, So lang wir leben, bleibt und wirkt. Die Bilder, die ſich in ſie ſenken, Durch nie verſchloßner Sinnen Thuͤren, weis ſie auf tauſend Art zu lenken, Zu fuͤgen, wiederum zu trennen, ſie zu vergleichen, zu be- denken, Sie zu vergeſſen, zu behalten, ſie zu verwerfen, ſie zu waͤhlen, Sie zu veraͤndern, bald ſich lange mit ihnen gleichſam zu ver- maͤhlen, Bald wieder ſich von ihnen ſcheiden, bald recht zu haben, bald zu fehlen, Bald ſich an einigen zu aͤrgern, an andern bald ſich zu er- getzen, Bald aus verſchiednen ein Gebaͤud errichten, und zuſammen ſetzen, Faͤllt ihr zuweilen leicht, bald ſchwer. Dieß ſcheint das wahre Thun der Seelen. Die Dunkelheit des Seelen-Sitzes ſcheint etwas helles zu entdecken, Und zu derſelbigen Betrachtung ein Licht uns gleichſam an- zuſtecken. Kommt

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/471>, abgerufen am 22.11.2024.