So weis ich, würd er ganz gewiß ein Scheusal in sich selbst entdecken, Und für sein' eigene Gestalt, die ihm doch sonst so lieb, er- schrecken; Wo nicht, so wünscht ich, daß dieß Lied mit gnugsam kräftgen Farben ihnen, Ein ähnlich Bild des Zorns zu zeigen, statt eines Spiegels möchte dienen, Damit die unglückselge Quelle der Bosheit, die Empfind- lichkeit, Mit mehrerm Ernst erkannt, verstopfet, und gegen sie, zu aller Zeit, Mit Macht gestritten werden möchte. Jch will mich wenig- stens bemühen, So andern, als mir selbst zum Besten, die Unschulds-Mask ihr abzuziehen, Um dieß, dem Schein nach, Kind des Himmels, doch in der Wahrheit, Kind der Höllen, Jn seiner eigentlichen Stellung, und ungeschminket, vorzu- stellen.
Jch nenne die Empfindlichkeit, von unserm Nächsten nichts zu leiden, Die Misgeburth der Eigenliebe, den größten Feind von al- len Freuden, Und unsern eignen größten Feind, der, was uns die Natur gesetzt, Die Gottes, unsers Nächsten Liebe, und unser eigene verletzt. Zu viele Liebe vor uns selbst verursacht, daß wir selbst uns hassen, Daß wir die uns gesetzten Schranken, aus übermüthgem Stolz, verlassen,
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thut unrecht vor Gott.
So weis ich, wuͤrd er ganz gewiß ein Scheuſal in ſich ſelbſt entdecken, Und fuͤr ſein’ eigene Geſtalt, die ihm doch ſonſt ſo lieb, er- ſchrecken; Wo nicht, ſo wuͤnſcht ich, daß dieß Lied mit gnugſam kraͤftgen Farben ihnen, Ein aͤhnlich Bild des Zorns zu zeigen, ſtatt eines Spiegels moͤchte dienen, Damit die ungluͤckſelge Quelle der Bosheit, die Empfind- lichkeit, Mit mehrerm Ernſt erkannt, verſtopfet, und gegen ſie, zu aller Zeit, Mit Macht geſtritten werden moͤchte. Jch will mich wenig- ſtens bemuͤhen, So andern, als mir ſelbſt zum Beſten, die Unſchulds-Mask ihr abzuziehen, Um dieß, dem Schein nach, Kind des Himmels, doch in der Wahrheit, Kind der Hoͤllen, Jn ſeiner eigentlichen Stellung, und ungeſchminket, vorzu- ſtellen.
Jch nenne die Empfindlichkeit, von unſerm Naͤchſten nichts zu leiden, Die Misgeburth der Eigenliebe, den groͤßten Feind von al- len Freuden, Und unſern eignen groͤßten Feind, der, was uns die Natur geſetzt, Die Gottes, unſers Naͤchſten Liebe, und unſer eigene verletzt. Zu viele Liebe vor uns ſelbſt verurſacht, daß wir ſelbſt uns haſſen, Daß wir die uns geſetzten Schranken, aus uͤbermuͤthgem Stolz, verlaſſen,
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thut unrecht vor Gott.
So weis ich, wuͤrd er ganz gewiß ein Scheuſal in ſich ſelbſt
entdecken,
Und fuͤr ſein’ eigene Geſtalt, die ihm doch ſonſt ſo lieb, er-
ſchrecken;
Wo nicht, ſo wuͤnſcht ich, daß dieß Lied mit gnugſam kraͤftgen
Farben ihnen,
Ein aͤhnlich Bild des Zorns zu zeigen, ſtatt eines Spiegels
moͤchte dienen,
Damit die ungluͤckſelge Quelle der Bosheit, die Empfind-
lichkeit,
Mit mehrerm Ernſt erkannt, verſtopfet, und gegen ſie, zu aller
Zeit,
Mit Macht geſtritten werden moͤchte. Jch will mich wenig-
ſtens bemuͤhen,
So andern, als mir ſelbſt zum Beſten, die Unſchulds-Mask
ihr abzuziehen,
Um dieß, dem Schein nach, Kind des Himmels, doch in der
Wahrheit, Kind der Hoͤllen,
Jn ſeiner eigentlichen Stellung, und ungeſchminket, vorzu-
ſtellen.
Jch nenne die Empfindlichkeit, von unſerm Naͤchſten nichts
zu leiden,
Die Misgeburth der Eigenliebe, den groͤßten Feind von al-
len Freuden,
Und unſern eignen groͤßten Feind, der, was uns die Natur
geſetzt,
Die Gottes, unſers Naͤchſten Liebe, und unſer eigene verletzt.
Zu viele Liebe vor uns ſelbſt verurſacht, daß wir ſelbſt
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Daß wir die uns geſetzten Schranken, aus uͤbermuͤthgem Stolz,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/459>, abgerufen am 22.11.2024.
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