"So, daß zu einer Zeit ein ganzes Land und Reich "Fast einem Schinder-Anger gleich, "Und voller Todten-Aeser war.
"Wenn Christen einst in Engelland, "Nebst einer großen Christen-Schaar, "Bloß, weil sie nicht papistisch war, "Ein schwanger christlich Weib verbrannt, "Und wie sie in der Gluht für Schmerz ein Kind gebahr, "Man auch das Kind den Flammen erst entrissen, "Es dennoch gleich darauf aufs neu ins Feuer geschmissen, "Auf geistlichen Befehl.
Kein menschlicher Verstand kann dieß Verhängen fassen. Denn, ob man gleich verschiednes denken kann: So wird sich alles doch von uns nicht heben lassen; Und geht es mit den wenigsten wohl an. Man könnte zwar von aller Heiden Menge, Durch welche der Verstand am meisten ins Gedränge Und in Verwirrung kömmt, vielleicht gedenken: Daß, wenn die Meng auch groß, sie doch für den nur klein, Der weit mehr Millionen Welte, Als Haar auf aller Häupter seyn, Erschuf, und selbige um ihre Sonnen stellte: So kann doch dieß den Zweifel noch nicht heben. Vielmehr wird die Vernunft uns hier zur Antwort geben: Des Schöpfers Weisheit, Lieb, und Allmachts-Stral Muß, weil ja Gott auch groß im Kleinen, Auch in der allerkleinsten Zahl Sowohl, als in der größten, scheinen.
Es geht die menschliche Vernunft zwar weit, Und lassen Gründe sich, von Wichtigkeit, Auch bey so schreckenden Begebenheiten, finden, Wovon wir uns, nur eins hieher zu setzen,
So
Zweifelmuth.
„So, daß zu einer Zeit ein ganzes Land und Reich „Faſt einem Schinder-Anger gleich, „Und voller Todten-Aeſer war.
„Wenn Chriſten einſt in Engelland, „Nebſt einer großen Chriſten-Schaar, „Bloß, weil ſie nicht papiſtiſch war, „Ein ſchwanger chriſtlich Weib verbrannt, „Und wie ſie in der Gluht fuͤr Schmerz ein Kind gebahr, „Man auch das Kind den Flammen erſt entriſſen, „Es dennoch gleich darauf aufs neu ins Feuer geſchmiſſen, „Auf geiſtlichen Befehl.
Kein menſchlicher Verſtand kann dieß Verhaͤngen faſſen. Denn, ob man gleich verſchiednes denken kann: So wird ſich alles doch von uns nicht heben laſſen; Und geht es mit den wenigſten wohl an. Man koͤnnte zwar von aller Heiden Menge, Durch welche der Verſtand am meiſten ins Gedraͤnge Und in Verwirrung koͤmmt, vielleicht gedenken: Daß, wenn die Meng auch groß, ſie doch fuͤr den nur klein, Der weit mehr Millionen Welte, Als Haar auf aller Haͤupter ſeyn, Erſchuf, und ſelbige um ihre Sonnen ſtellte: So kann doch dieß den Zweifel noch nicht heben. Vielmehr wird die Vernunft uns hier zur Antwort geben: Des Schoͤpfers Weisheit, Lieb, und Allmachts-Stral Muß, weil ja Gott auch groß im Kleinen, Auch in der allerkleinſten Zahl Sowohl, als in der groͤßten, ſcheinen.
Es geht die menſchliche Vernunft zwar weit, Und laſſen Gruͤnde ſich, von Wichtigkeit, Auch bey ſo ſchreckenden Begebenheiten, finden, Wovon wir uns, nur eins hieher zu ſetzen,
So
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Zweifelmuth.
„So, daß zu einer Zeit ein ganzes Land und Reich
„Faſt einem Schinder-Anger gleich,
„Und voller Todten-Aeſer war.
„Wenn Chriſten einſt in Engelland,
„Nebſt einer großen Chriſten-Schaar,
„Bloß, weil ſie nicht papiſtiſch war,
„Ein ſchwanger chriſtlich Weib verbrannt,
„Und wie ſie in der Gluht fuͤr Schmerz ein Kind gebahr,
„Man auch das Kind den Flammen erſt entriſſen,
„Es dennoch gleich darauf aufs neu ins Feuer geſchmiſſen,
„Auf geiſtlichen Befehl.
Kein menſchlicher Verſtand kann dieß Verhaͤngen faſſen.
Denn, ob man gleich verſchiednes denken kann:
So wird ſich alles doch von uns nicht heben laſſen;
Und geht es mit den wenigſten wohl an.
Man koͤnnte zwar von aller Heiden Menge,
Durch welche der Verſtand am meiſten ins Gedraͤnge
Und in Verwirrung koͤmmt, vielleicht gedenken:
Daß, wenn die Meng auch groß, ſie doch fuͤr den nur klein,
Der weit mehr Millionen Welte,
Als Haar auf aller Haͤupter ſeyn,
Erſchuf, und ſelbige um ihre Sonnen ſtellte:
So kann doch dieß den Zweifel noch nicht heben.
Vielmehr wird die Vernunft uns hier zur Antwort geben:
Des Schoͤpfers Weisheit, Lieb, und Allmachts-Stral
Muß, weil ja Gott auch groß im Kleinen,
Auch in der allerkleinſten Zahl
Sowohl, als in der groͤßten, ſcheinen.
Es geht die menſchliche Vernunft zwar weit,
Und laſſen Gruͤnde ſich, von Wichtigkeit,
Auch bey ſo ſchreckenden Begebenheiten, finden,
Wovon wir uns, nur eins hieher zu ſetzen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/423>, abgerufen am 16.02.2025.
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