Die Seilen-förmgen Sehnen decken, und wehren, wenn wir greifen wollen, Daß sie uns nicht im Wege seyn, sind auch nicht minder Wun- der-reich; Sie sind, an jeglichem Gelenke, zu diesem Endzweck, mit Bedacht, Jn einer unergründlichen und weisen Absicht, fest gemacht. Die nett-gebildeten Gelenke, wovon die Knochen so gefüget, Daß, auf Bewundrungs-werthe Weise, der eine in dem andern lieget, Da man den einen halb gehölet, den andern Regel-recht geründet, Mit glatten Knörpelchen versehn, und immer angefüllet findet. Wobey ich denn, o neues Wunder! (um die daselbst nothwend- ge Stärke,) Jm Knie, noch außer seiner Scheibe, gar etwas sonderlichs bemerke. Man sieht daselbst, nicht ohn Erstaunen, recht Kreuz-weis, ein paar starke Sehnen, Und zwar noch um sich selbst geschlungen, daß sie sich zwar in etwas dehnen, Doch fast nicht zu zerreissen sind, die beyden Knochen feste binden, Dergleichen, wie an diesem Ort, im ganzen Körper nicht zu finden.
Jndem ich nun mit ernstem Denken der künstlichen Ge- lenke Bau, Der aller Menschen Kunst und Wissen, an Kunst weit über- steigt, beschau: Befällt mich recht ein heilger Schauer; mein Geist scheint, ei- nen andern Geist, Der auf ganz andre Weise wirkt, der mehr, und andre Weis- heit weis, (Kann ich ihn selber gleich nicht sehen) in seinen Wirkungen zu finden.
Jn-
Betrachtungen aus der Anatomie.
Die Seilen-foͤrmgen Sehnen decken, und wehren, wenn wir greifen wollen, Daß ſie uns nicht im Wege ſeyn, ſind auch nicht minder Wun- der-reich; Sie ſind, an jeglichem Gelenke, zu dieſem Endzweck, mit Bedacht, Jn einer unergruͤndlichen und weiſen Abſicht, feſt gemacht. Die nett-gebildeten Gelenke, wovon die Knochen ſo gefuͤget, Daß, auf Bewundrungs-werthe Weiſe, der eine in dem andern lieget, Da man den einen halb gehoͤlet, den andern Regel-recht geruͤndet, Mit glatten Knoͤrpelchen verſehn, und immer angefuͤllet findet. Wobey ich denn, o neues Wunder! (um die daſelbſt nothwend- ge Staͤrke,) Jm Knie, noch außer ſeiner Scheibe, gar etwas ſonderlichs bemerke. Man ſieht daſelbſt, nicht ohn Erſtaunen, recht Kreuz-weis, ein paar ſtarke Sehnen, Und zwar noch um ſich ſelbſt geſchlungen, daß ſie ſich zwar in etwas dehnen, Doch faſt nicht zu zerreiſſen ſind, die beyden Knochen feſte binden, Dergleichen, wie an dieſem Ort, im ganzen Koͤrper nicht zu finden.
Jndem ich nun mit ernſtem Denken der kuͤnſtlichen Ge- lenke Bau, Der aller Menſchen Kunſt und Wiſſen, an Kunſt weit uͤber- ſteigt, beſchau: Befaͤllt mich recht ein heilger Schauer; mein Geiſt ſcheint, ei- nen andern Geiſt, Der auf ganz andre Weiſe wirkt, der mehr, und andre Weis- heit weis, (Kann ich ihn ſelber gleich nicht ſehen) in ſeinen Wirkungen zu finden.
Jn-
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Betrachtungen aus der Anatomie.
Die Seilen-foͤrmgen Sehnen decken, und wehren, wenn wir
greifen wollen,
Daß ſie uns nicht im Wege ſeyn, ſind auch nicht minder Wun-
der-reich;
Sie ſind, an jeglichem Gelenke, zu dieſem Endzweck, mit Bedacht,
Jn einer unergruͤndlichen und weiſen Abſicht, feſt gemacht.
Die nett-gebildeten Gelenke, wovon die Knochen ſo gefuͤget,
Daß, auf Bewundrungs-werthe Weiſe, der eine in dem andern
lieget,
Da man den einen halb gehoͤlet, den andern Regel-recht geruͤndet,
Mit glatten Knoͤrpelchen verſehn, und immer angefuͤllet findet.
Wobey ich denn, o neues Wunder! (um die daſelbſt nothwend-
ge Staͤrke,)
Jm Knie, noch außer ſeiner Scheibe, gar etwas ſonderlichs
bemerke.
Man ſieht daſelbſt, nicht ohn Erſtaunen, recht Kreuz-weis, ein
paar ſtarke Sehnen,
Und zwar noch um ſich ſelbſt geſchlungen, daß ſie ſich zwar in
etwas dehnen,
Doch faſt nicht zu zerreiſſen ſind, die beyden Knochen feſte binden,
Dergleichen, wie an dieſem Ort, im ganzen Koͤrper nicht zu finden.
Jndem ich nun mit ernſtem Denken der kuͤnſtlichen Ge-
lenke Bau,
Der aller Menſchen Kunſt und Wiſſen, an Kunſt weit uͤber-
ſteigt, beſchau:
Befaͤllt mich recht ein heilger Schauer; mein Geiſt ſcheint, ei-
nen andern Geiſt,
Der auf ganz andre Weiſe wirkt, der mehr, und andre Weis-
heit weis,
(Kann ich ihn ſelber gleich nicht ſehen) in ſeinen Wirkungen zu
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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