Was ist der Hunger? sag es mir. Ein Trieb, dein Wesen zu ernähren. Was ist die süsse Liebe dann? Ein Trieb, dein Wesen zu ver- mehren. Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver- gnügen, Wie ganz gewiß geschehen würde, durch Uebermaaß, uns Scha- den brächten, Und wir im heftigen Gebrauch an Kräften uns erschöpfen möchten, Zumalen des Verstandes Kräft in diesem Kampf, mit Lust, erliegen: So finden wir ein neues Wunder, so würdig, daß man es bedenkt, Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach- tung schenkt, Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb ist so bereitet, Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet. Will man zu stark sich übernehmen, so schiebt in beyden dir und mir Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel für.
Sein Nutzen zeiget überzeuglich, da er Begierden und Ge- danken, Trotz ihrer Unersättlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken Zu setzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefähr. Es stammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weisen Vor- sicht her.
Fabel.
Zuͤgel der Begierden.
Zuͤgel der Begierden.
Was iſt der Hunger? ſag es mir. Ein Trieb, dein Weſen zu ernaͤhren. Was iſt die ſuͤſſe Liebe dann? Ein Trieb, dein Weſen zu ver- mehren. Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver- gnuͤgen, Wie ganz gewiß geſchehen wuͤrde, durch Uebermaaß, uns Scha- den braͤchten, Und wir im heftigen Gebrauch an Kraͤften uns erſchoͤpfen moͤchten, Zumalen des Verſtandes Kraͤft in dieſem Kampf, mit Luſt, erliegen: So finden wir ein neues Wunder, ſo wuͤrdig, daß man es bedenkt, Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach- tung ſchenkt, Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb iſt ſo bereitet, Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet. Will man zu ſtark ſich uͤbernehmen, ſo ſchiebt in beyden dir und mir Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fuͤr.
Sein Nutzen zeiget uͤberzeuglich, da er Begierden und Ge- danken, Trotz ihrer Unerſaͤttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken Zu ſetzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefaͤhr. Es ſtammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weiſen Vor- ſicht her.
Fabel.
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Zuͤgel der Begierden.
Zuͤgel der Begierden.
Was iſt der Hunger? ſag es mir. Ein Trieb, dein Weſen
zu ernaͤhren.
Was iſt die ſuͤſſe Liebe dann? Ein Trieb, dein Weſen zu ver-
mehren.
Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver-
gnuͤgen,
Wie ganz gewiß geſchehen wuͤrde, durch Uebermaaß, uns Scha-
den braͤchten,
Und wir im heftigen Gebrauch an Kraͤften uns erſchoͤpfen
moͤchten,
Zumalen des Verſtandes Kraͤft in dieſem Kampf, mit Luſt, erliegen:
So finden wir ein neues Wunder, ſo wuͤrdig, daß man es bedenkt,
Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach-
tung ſchenkt,
Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb iſt ſo bereitet,
Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet.
Will man zu ſtark ſich uͤbernehmen, ſo ſchiebt in beyden dir und
mir
Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fuͤr.
Sein Nutzen zeiget uͤberzeuglich, da er Begierden und Ge-
danken,
Trotz ihrer Unerſaͤttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken
Zu ſetzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefaͤhr.
Es ſtammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weiſen Vor-
ſicht her.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/323>, abgerufen am 28.11.2024.
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