Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Zügel der Begierden.
Zügel der Begierden.
Was ist der Hunger? sag es mir. Ein Trieb, dein Wesen
zu ernähren.

Was ist die süsse Liebe dann? Ein Trieb, dein Wesen zu ver-
mehren.

Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver-
gnügen,

Wie ganz gewiß geschehen würde, durch Uebermaaß, uns Scha-
den brächten,

Und wir im heftigen Gebrauch an Kräften uns erschöpfen
möchten,

Zumalen des Verstandes Kräft in diesem Kampf, mit Lust, erliegen:
So finden wir ein neues Wunder, so würdig, daß man es bedenkt,
Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach-
tung schenkt,

Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb ist so bereitet,
Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet.
Will man zu stark sich übernehmen, so schiebt in beyden dir und
mir

Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel für.
Sein Nutzen zeiget überzeuglich, da er Begierden und Ge-
danken,

Trotz ihrer Unersättlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken
Zu setzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefähr.
Es stammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weisen Vor-
sicht her.


Fabel.
Zuͤgel der Begierden.
Zuͤgel der Begierden.
Was iſt der Hunger? ſag es mir. Ein Trieb, dein Weſen
zu ernaͤhren.

Was iſt die ſuͤſſe Liebe dann? Ein Trieb, dein Weſen zu ver-
mehren.

Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver-
gnuͤgen,

Wie ganz gewiß geſchehen wuͤrde, durch Uebermaaß, uns Scha-
den braͤchten,

Und wir im heftigen Gebrauch an Kraͤften uns erſchoͤpfen
moͤchten,

Zumalen des Verſtandes Kraͤft in dieſem Kampf, mit Luſt, erliegen:
So finden wir ein neues Wunder, ſo wuͤrdig, daß man es bedenkt,
Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach-
tung ſchenkt,

Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb iſt ſo bereitet,
Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet.
Will man zu ſtark ſich uͤbernehmen, ſo ſchiebt in beyden dir und
mir

Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fuͤr.
Sein Nutzen zeiget uͤberzeuglich, da er Begierden und Ge-
danken,

Trotz ihrer Unerſaͤttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken
Zu ſetzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefaͤhr.
Es ſtammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weiſen Vor-
ſicht her.


Fabel.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0323" n="299"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zu&#x0364;gel der Begierden.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zu&#x0364;gel der Begierden.</hi> </head><lb/>
          <lg n="4">
            <l><hi rendition="#in">W</hi>as i&#x017F;t der Hunger? &#x017F;ag es mir. Ein Trieb, dein We&#x017F;en<lb/><hi rendition="#et">zu erna&#x0364;hren.</hi></l><lb/>
            <l>Was i&#x017F;t die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Liebe dann? Ein Trieb, dein We&#x017F;en zu ver-<lb/><hi rendition="#et">mehren.</hi></l><lb/>
            <l>Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver-<lb/><hi rendition="#et">gnu&#x0364;gen,</hi></l><lb/>
            <l>Wie ganz gewiß ge&#x017F;chehen wu&#x0364;rde, durch Uebermaaß, uns Scha-<lb/><hi rendition="#et">den bra&#x0364;chten,</hi></l><lb/>
            <l>Und wir im heftigen Gebrauch an Kra&#x0364;ften uns er&#x017F;cho&#x0364;pfen<lb/><hi rendition="#et">mo&#x0364;chten,</hi></l><lb/>
            <l>Zumalen des Ver&#x017F;tandes Kra&#x0364;ft in die&#x017F;em Kampf, mit Lu&#x017F;t, erliegen:</l><lb/>
            <l>So finden wir ein neues Wunder, &#x017F;o wu&#x0364;rdig, daß man es bedenkt,</l><lb/>
            <l>Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach-<lb/><hi rendition="#et">tung &#x017F;chenkt,</hi></l><lb/>
            <l>Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb i&#x017F;t &#x017F;o bereitet,</l><lb/>
            <l>Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet.</l><lb/>
            <l>Will man zu &#x017F;tark &#x017F;ich u&#x0364;bernehmen, &#x017F;o &#x017F;chiebt in beyden dir und<lb/><hi rendition="#et">mir</hi></l><lb/>
            <l>Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fu&#x0364;r.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Sein Nutzen zeiget u&#x0364;berzeuglich, da er Begierden und Ge-<lb/><hi rendition="#et">danken,</hi></l><lb/>
            <l>Trotz ihrer Uner&#x017F;a&#x0364;ttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken</l><lb/>
            <l>Zu &#x017F;etzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefa&#x0364;hr.</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;tammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer wei&#x017F;en Vor-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;icht her.</hi></l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Fabel.</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0323] Zuͤgel der Begierden. Zuͤgel der Begierden. Was iſt der Hunger? ſag es mir. Ein Trieb, dein Weſen zu ernaͤhren. Was iſt die ſuͤſſe Liebe dann? Ein Trieb, dein Weſen zu ver- mehren. Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver- gnuͤgen, Wie ganz gewiß geſchehen wuͤrde, durch Uebermaaß, uns Scha- den braͤchten, Und wir im heftigen Gebrauch an Kraͤften uns erſchoͤpfen moͤchten, Zumalen des Verſtandes Kraͤft in dieſem Kampf, mit Luſt, erliegen: So finden wir ein neues Wunder, ſo wuͤrdig, daß man es bedenkt, Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach- tung ſchenkt, Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb iſt ſo bereitet, Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet. Will man zu ſtark ſich uͤbernehmen, ſo ſchiebt in beyden dir und mir Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fuͤr. Sein Nutzen zeiget uͤberzeuglich, da er Begierden und Ge- danken, Trotz ihrer Unerſaͤttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken Zu ſetzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefaͤhr. Es ſtammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weiſen Vor- ſicht her. Fabel.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/323
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/323>, abgerufen am 28.11.2024.