Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnen-Schule.
So wenig auf die Sinne selbst, als ihre Vorwürf hinzu-
lenken,
Nur die geringste Müh uns geben. Man siehet, höret, rie-
chet, ißt,

Ohn daß man, wie die Fähigkeit sey eine Gottes Gab, ermißt,
Ohn daß wir auf der Sinnen Vorwürf, ob sie gleich nicht zu
zählen, achten.

Wir sollten, ohn Erstaunen nicht, nicht sonder Ehrfurcht,
diese Welt,

Jn die der Schöpfer uns gesetzet, und sie den Menschen vor-
gestellt,

Sie durch die Sinnen zu geniessen, die Sinnen ebenfalls nicht
sehn.

Die Seele sollte für die Gaben, auch für das Werkzeug, Gott
erhöhn.
Worin kann doch die Menschheit sonst sich unterscheiden
von den Thieren?

Wozu soll die Vernunft ihr nützen; gebraucht er sich dersel-
ben nicht,

Um durch die Sinnen zu betrachten, was herrlichs hier, durch
Gott, geschicht?

Die Seele kann, nur durch die Sinnen, wie weis und lieb-
reich Gott, verspüren.

Sie aber trennt sich unglückselig mit ihrem Denken von den
Sinnen;

Sie sieht und höret ohne Denken; einfolglich hört und sieht
sie nicht.

Des Schöpfers in den Creaturen uns angesteckte Weisheit-
Licht

Rührt ihre Sinnen, wie der Thiere, von aussen, aber nicht
von innen,
Be-

Sinnen-Schule.
So wenig auf die Sinne ſelbſt, als ihre Vorwuͤrf hinzu-
lenken,
Nur die geringſte Muͤh uns geben. Man ſiehet, hoͤret, rie-
chet, ißt,

Ohn daß man, wie die Faͤhigkeit ſey eine Gottes Gab, ermißt,
Ohn daß wir auf der Sinnen Vorwuͤrf, ob ſie gleich nicht zu
zaͤhlen, achten.

Wir ſollten, ohn Erſtaunen nicht, nicht ſonder Ehrfurcht,
dieſe Welt,

Jn die der Schoͤpfer uns geſetzet, und ſie den Menſchen vor-
geſtellt,

Sie durch die Sinnen zu genieſſen, die Sinnen ebenfalls nicht
ſehn.

Die Seele ſollte fuͤr die Gaben, auch fuͤr das Werkzeug, Gott
erhoͤhn.
Worin kann doch die Menſchheit ſonſt ſich unterſcheiden
von den Thieren?

Wozu ſoll die Vernunft ihr nuͤtzen; gebraucht er ſich derſel-
ben nicht,

Um durch die Sinnen zu betrachten, was herrlichs hier, durch
Gott, geſchicht?

Die Seele kann, nur durch die Sinnen, wie weiſ und lieb-
reich Gott, verſpuͤren.

Sie aber trennt ſich ungluͤckſelig mit ihrem Denken von den
Sinnen;

Sie ſieht und hoͤret ohne Denken; einfolglich hoͤrt und ſieht
ſie nicht.

Des Schoͤpfers in den Creaturen uns angeſteckte Weisheit-
Licht

Ruͤhrt ihre Sinnen, wie der Thiere, von auſſen, aber nicht
von innen,
Be-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="17">
            <l><pb facs="#f0295" n="271"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sinnen-Schule.</hi></fw><lb/>
So wenig auf die Sinne &#x017F;elb&#x017F;t, als ihre Vorwu&#x0364;rf hinzu-<lb/><hi rendition="#et">lenken,</hi></l><lb/>
            <l>Nur die gering&#x017F;te Mu&#x0364;h uns geben. Man &#x017F;iehet, ho&#x0364;ret, rie-<lb/><hi rendition="#et">chet, ißt,</hi></l><lb/>
            <l>Ohn daß man, wie die Fa&#x0364;higkeit &#x017F;ey eine Gottes Gab, ermißt,</l><lb/>
            <l>Ohn daß wir auf der Sinnen Vorwu&#x0364;rf, ob &#x017F;ie gleich nicht zu<lb/><hi rendition="#et">za&#x0364;hlen, achten.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="18">
            <l>Wir &#x017F;ollten, ohn Er&#x017F;taunen nicht, nicht &#x017F;onder Ehrfurcht,<lb/><hi rendition="#et">die&#x017F;e Welt,</hi></l><lb/>
            <l>Jn die der Scho&#x0364;pfer uns ge&#x017F;etzet, und &#x017F;ie den Men&#x017F;chen vor-<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;tellt,</hi></l><lb/>
            <l>Sie durch die Sinnen zu genie&#x017F;&#x017F;en, die Sinnen ebenfalls nicht<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehn.</hi></l><lb/>
            <l>Die Seele &#x017F;ollte fu&#x0364;r die Gaben, auch fu&#x0364;r das Werkzeug, Gott<lb/><hi rendition="#et">erho&#x0364;hn.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="19">
            <l>Worin kann doch die Men&#x017F;chheit &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ich unter&#x017F;cheiden<lb/><hi rendition="#et">von den Thieren?</hi></l><lb/>
            <l>Wozu &#x017F;oll die Vernunft ihr nu&#x0364;tzen; gebraucht er &#x017F;ich der&#x017F;el-<lb/><hi rendition="#et">ben nicht,</hi></l><lb/>
            <l>Um durch die Sinnen zu betrachten, was herrlichs hier, durch<lb/><hi rendition="#et">Gott, ge&#x017F;chicht?</hi></l><lb/>
            <l>Die Seele kann, nur durch die Sinnen, wie wei&#x017F; und lieb-<lb/><hi rendition="#et">reich Gott, ver&#x017F;pu&#x0364;ren.</hi></l><lb/>
            <l>Sie aber trennt &#x017F;ich unglu&#x0364;ck&#x017F;elig mit ihrem Denken von den<lb/><hi rendition="#et">Sinnen;</hi></l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;ieht und ho&#x0364;ret ohne Denken; einfolglich ho&#x0364;rt und &#x017F;ieht<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ie nicht.</hi></l><lb/>
            <l>Des Scho&#x0364;pfers in den Creaturen uns ange&#x017F;teckte Weisheit-<lb/><hi rendition="#et">Licht</hi></l><lb/>
            <l>Ru&#x0364;hrt ihre Sinnen, wie der Thiere, von au&#x017F;&#x017F;en, aber nicht<lb/><hi rendition="#et">von innen,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Be-</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0295] Sinnen-Schule. So wenig auf die Sinne ſelbſt, als ihre Vorwuͤrf hinzu- lenken, Nur die geringſte Muͤh uns geben. Man ſiehet, hoͤret, rie- chet, ißt, Ohn daß man, wie die Faͤhigkeit ſey eine Gottes Gab, ermißt, Ohn daß wir auf der Sinnen Vorwuͤrf, ob ſie gleich nicht zu zaͤhlen, achten. Wir ſollten, ohn Erſtaunen nicht, nicht ſonder Ehrfurcht, dieſe Welt, Jn die der Schoͤpfer uns geſetzet, und ſie den Menſchen vor- geſtellt, Sie durch die Sinnen zu genieſſen, die Sinnen ebenfalls nicht ſehn. Die Seele ſollte fuͤr die Gaben, auch fuͤr das Werkzeug, Gott erhoͤhn. Worin kann doch die Menſchheit ſonſt ſich unterſcheiden von den Thieren? Wozu ſoll die Vernunft ihr nuͤtzen; gebraucht er ſich derſel- ben nicht, Um durch die Sinnen zu betrachten, was herrlichs hier, durch Gott, geſchicht? Die Seele kann, nur durch die Sinnen, wie weiſ und lieb- reich Gott, verſpuͤren. Sie aber trennt ſich ungluͤckſelig mit ihrem Denken von den Sinnen; Sie ſieht und hoͤret ohne Denken; einfolglich hoͤrt und ſieht ſie nicht. Des Schoͤpfers in den Creaturen uns angeſteckte Weisheit- Licht Ruͤhrt ihre Sinnen, wie der Thiere, von auſſen, aber nicht von innen, Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/295
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/295>, abgerufen am 22.11.2024.