Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber wilde Schweine.
Dieser Thier, auch in den Bäumen, die leibhaftige Natur.
Schau den Stamm, der Riesen - förmig! scheint nicht seiner
Blätter Schatten,

Wie ihr Urbild, sich zu regen? Lust und Furcht scheint sich zu
gatten,

Jn dem dick verwachsnen Busch. Wenn uns nun die Creatur
Eine Spur zum Schöpfer zeiget; zeigt die Kunst hier eine Spur,
Zu der Creaturen Heer. Folglich kann, zu Gott zu steigen,
Jedem, der sie recht gebraucht, sie die erste Sprosse zeigen.
4.
Läßt sich ein vergnüglichs Schrecken, ein geheim und schau-
drigt Grauen,

Jm gewachsnen Walde, fühlen; läßt hier dieser schwarze Wald
Eben die Empfindungen, in fast sichtbarer Gestalt,
Den in ihm vertieften Blick, mit nicht mindrer Regung,
schauen?

Aber, welch ein stark Geräusch! o! zurück! ein schrecklich
Schwein

Liegt erhitzt, dort in der Sühle, seinen dürren Brand zu kühlen,
Unterm Busch, im feuchten Schilf. Hört es schnaufen! seht
es wühlen,

Schaut, wie stroblich seine Borsten, wie so lang die Waffen seyn!
Wie des schlammigten Morasts kaltes Bad es innig rühre;
Deucht mich, daß ich in den wilden halb geschloßnen Augen spüre.
Ein paar kluge Striche zeigen, von dem ungeheuren Thiere,
Selbst die innre Leidenschaft. Muß man denn nicht dessen Geist,
Der, in seiner edlen Kunst, uns so viele Wunder weist;
Der, was Gott in wilden Wäldern für uns schuf, uns zu be-
trachten,

Recht als wenn es lebte, zeiget; nicht bemüht seyn hochzuachten?
Ueber
P 2
Ueber wilde Schweine.
Dieſer Thier, auch in den Baͤumen, die leibhaftige Natur.
Schau den Stamm, der Rieſen - foͤrmig! ſcheint nicht ſeiner
Blaͤtter Schatten,

Wie ihr Urbild, ſich zu regen? Luſt und Furcht ſcheint ſich zu
gatten,

Jn dem dick verwachsnen Buſch. Wenn uns nun die Creatur
Eine Spur zum Schoͤpfer zeiget; zeigt die Kunſt hier eine Spur,
Zu der Creaturen Heer. Folglich kann, zu Gott zu ſteigen,
Jedem, der ſie recht gebraucht, ſie die erſte Sproſſe zeigen.
4.
Laͤßt ſich ein vergnuͤglichs Schrecken, ein geheim und ſchau-
drigt Grauen,

Jm gewachſnen Walde, fuͤhlen; laͤßt hier dieſer ſchwarze Wald
Eben die Empfindungen, in faſt ſichtbarer Geſtalt,
Den in ihm vertieften Blick, mit nicht mindrer Regung,
ſchauen?

Aber, welch ein ſtark Geraͤuſch! o! zuruͤck! ein ſchrecklich
Schwein

Liegt erhitzt, dort in der Suͤhle, ſeinen duͤrren Brand zu kuͤhlen,
Unterm Buſch, im feuchten Schilf. Hoͤrt es ſchnaufen! ſeht
es wuͤhlen,

Schaut, wie ſtroblich ſeine Borſten, wie ſo lang die Waffen ſeyn!
Wie des ſchlammigten Moraſts kaltes Bad es innig ruͤhre;
Deucht mich, daß ich in den wilden halb geſchloßnen Augen ſpuͤre.
Ein paar kluge Striche zeigen, von dem ungeheuren Thiere,
Selbſt die innre Leidenſchaft. Muß man denn nicht deſſen Geiſt,
Der, in ſeiner edlen Kunſt, uns ſo viele Wunder weiſt;
Der, was Gott in wilden Waͤldern fuͤr uns ſchuf, uns zu be-
trachten,

Recht als wenn es lebte, zeiget; nicht bemuͤht ſeyn hochzuachten?
Ueber
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0251" n="227"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ueber wilde Schweine.</hi> </fw><lb/>
              <l>Die&#x017F;er Thier, auch in den Ba&#x0364;umen, die leibhaftige Natur.</l><lb/>
              <l>Schau den Stamm, der Rie&#x017F;en - fo&#x0364;rmig! &#x017F;cheint nicht &#x017F;einer<lb/><hi rendition="#et">Bla&#x0364;tter Schatten,</hi></l><lb/>
              <l>Wie ihr Urbild, &#x017F;ich zu regen? Lu&#x017F;t und Furcht &#x017F;cheint &#x017F;ich zu<lb/><hi rendition="#et">gatten,</hi></l><lb/>
              <l>Jn dem dick verwachsnen Bu&#x017F;ch. Wenn uns nun die Creatur</l><lb/>
              <l>Eine Spur zum Scho&#x0364;pfer zeiget; zeigt die Kun&#x017F;t hier eine Spur,</l><lb/>
              <l>Zu der Creaturen Heer. Folglich kann, zu Gott zu &#x017F;teigen,</l><lb/>
              <l>Jedem, der &#x017F;ie recht gebraucht, &#x017F;ie die er&#x017F;te Spro&#x017F;&#x017F;e zeigen.</l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>La&#x0364;ßt &#x017F;ich ein vergnu&#x0364;glichs Schrecken, ein geheim und &#x017F;chau-<lb/><hi rendition="#et">drigt Grauen,</hi></l><lb/>
              <l>Jm gewach&#x017F;nen Walde, fu&#x0364;hlen; la&#x0364;ßt hier die&#x017F;er &#x017F;chwarze Wald</l><lb/>
              <l>Eben die Empfindungen, in fa&#x017F;t &#x017F;ichtbarer Ge&#x017F;talt,</l><lb/>
              <l>Den in ihm vertieften Blick, mit nicht mindrer Regung,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chauen?</hi></l><lb/>
              <l>Aber, welch ein &#x017F;tark Gera&#x0364;u&#x017F;ch! o! zuru&#x0364;ck! ein &#x017F;chrecklich<lb/><hi rendition="#et">Schwein</hi></l><lb/>
              <l>Liegt erhitzt, dort in der Su&#x0364;hle, &#x017F;einen du&#x0364;rren Brand zu ku&#x0364;hlen,</l><lb/>
              <l>Unterm Bu&#x017F;ch, im feuchten Schilf. Ho&#x0364;rt es &#x017F;chnaufen! &#x017F;eht<lb/><hi rendition="#et">es wu&#x0364;hlen,</hi></l><lb/>
              <l>Schaut, wie &#x017F;troblich &#x017F;eine Bor&#x017F;ten, wie &#x017F;o lang die Waffen &#x017F;eyn!</l><lb/>
              <l>Wie des &#x017F;chlammigten Mora&#x017F;ts kaltes Bad es innig ru&#x0364;hre;</l><lb/>
              <l>Deucht mich, daß ich in den wilden halb ge&#x017F;chloßnen Augen &#x017F;pu&#x0364;re.</l><lb/>
              <l>Ein paar kluge Striche zeigen, von dem ungeheuren Thiere,</l><lb/>
              <l>Selb&#x017F;t die innre Leiden&#x017F;chaft. Muß man denn nicht de&#x017F;&#x017F;en Gei&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Der, in &#x017F;einer edlen Kun&#x017F;t, uns &#x017F;o viele Wunder wei&#x017F;t;</l><lb/>
              <l>Der, was Gott in wilden Wa&#x0364;ldern fu&#x0364;r uns &#x017F;chuf, uns zu be-<lb/><hi rendition="#et">trachten,</hi></l><lb/>
              <l>Recht als wenn es lebte, zeiget; nicht bemu&#x0364;ht &#x017F;eyn hochzuachten?</l>
            </lg>
          </div>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">P 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Ueber</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0251] Ueber wilde Schweine. Dieſer Thier, auch in den Baͤumen, die leibhaftige Natur. Schau den Stamm, der Rieſen - foͤrmig! ſcheint nicht ſeiner Blaͤtter Schatten, Wie ihr Urbild, ſich zu regen? Luſt und Furcht ſcheint ſich zu gatten, Jn dem dick verwachsnen Buſch. Wenn uns nun die Creatur Eine Spur zum Schoͤpfer zeiget; zeigt die Kunſt hier eine Spur, Zu der Creaturen Heer. Folglich kann, zu Gott zu ſteigen, Jedem, der ſie recht gebraucht, ſie die erſte Sproſſe zeigen. 4. Laͤßt ſich ein vergnuͤglichs Schrecken, ein geheim und ſchau- drigt Grauen, Jm gewachſnen Walde, fuͤhlen; laͤßt hier dieſer ſchwarze Wald Eben die Empfindungen, in faſt ſichtbarer Geſtalt, Den in ihm vertieften Blick, mit nicht mindrer Regung, ſchauen? Aber, welch ein ſtark Geraͤuſch! o! zuruͤck! ein ſchrecklich Schwein Liegt erhitzt, dort in der Suͤhle, ſeinen duͤrren Brand zu kuͤhlen, Unterm Buſch, im feuchten Schilf. Hoͤrt es ſchnaufen! ſeht es wuͤhlen, Schaut, wie ſtroblich ſeine Borſten, wie ſo lang die Waffen ſeyn! Wie des ſchlammigten Moraſts kaltes Bad es innig ruͤhre; Deucht mich, daß ich in den wilden halb geſchloßnen Augen ſpuͤre. Ein paar kluge Striche zeigen, von dem ungeheuren Thiere, Selbſt die innre Leidenſchaft. Muß man denn nicht deſſen Geiſt, Der, in ſeiner edlen Kunſt, uns ſo viele Wunder weiſt; Der, was Gott in wilden Waͤldern fuͤr uns ſchuf, uns zu be- trachten, Recht als wenn es lebte, zeiget; nicht bemuͤht ſeyn hochzuachten? Ueber P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/251
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/251>, abgerufen am 25.11.2024.