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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

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Die Hirsche.
Sucht mein Aug am kühlen Bach, unter Schatten-reichen Bü-
schen,

Unter Blätter-reichen Bäumen, in der Fern, sich zu erfrischen:
Reisset ihn der edle Hirsch, mit Gewalt, auf sich zurück,
Und indem ich seine Stellung, Anstand, prächtige Gestalt,
Sein auf mich gerichtet Aug und den festen Tritt beschau,
Schweift der Blick aufs neue weg, in die von der klaren Au
Angenehm durchfloßne Gegend, wo sich, von beblümten Hügeln,
Weisse Stämme, grüne Blätter, in dem reinen Wasser, spiegeln.
Doch des Hirsches schöne Zweig, und sein sich bewegend Ohr,
Reissen mich aus grüner Zweige ferner Tief aufs neu hervor,
Beyder Urbild zeiget mir einen Gott, der Körper macht;
Die Copie beweist, daß Gott auch den Geist hervor gebracht.
No. 5.
Zwischen schroff-und jähen Felsen, hör ich das Gewässer rau-
schen,

Seh ich einen muntern Hirsch, hier aufmerksam stehn und
lauschen,

Voller innerlichen Gluht, voller brünstigen Begier,
Ob er nirgend Wild verspür.
Kaum getraut er seinen Lauft fest zu setzen, um im hören,
Sich, durch ungefähres Rascheln, unvorsichtig nicht zu stören.
Sehet, wie so scharf er sieht! hört, wie stark und laut er schreyt!
Der so schön - als wilden Gegend deutliche Natürlichkeit,
Wo auch das, was schrecket, schön ist, was verwildert, angenehm,
Und die wir, in unserm Zimmer, jetzt durch Ridinger bequem,
Sonder steigen, sehen können, bringt uns billig auf die Spur
Des hier vorgestellten Urbilds, auf die wirkliche Natur.
Da wir fürs Original, die Geschöpfe, leider blind,
Durch Gewohnheit, worden sind:
Sucht
Die Hirſche.
Sucht mein Aug am kuͤhlen Bach, unter Schatten-reichen Buͤ-
ſchen,

Unter Blaͤtter-reichen Baͤumen, in der Fern, ſich zu erfriſchen:
Reiſſet ihn der edle Hirſch, mit Gewalt, auf ſich zuruͤck,
Und indem ich ſeine Stellung, Anſtand, praͤchtige Geſtalt,
Sein auf mich gerichtet Aug und den feſten Tritt beſchau,
Schweift der Blick aufs neue weg, in die von der klaren Au
Angenehm durchfloßne Gegend, wo ſich, von bebluͤmten Huͤgeln,
Weiſſe Staͤmme, gruͤne Blaͤtter, in dem reinen Waſſer, ſpiegeln.
Doch des Hirſches ſchoͤne Zweig, und ſein ſich bewegend Ohr,
Reiſſen mich aus gruͤner Zweige ferner Tief aufs neu hervor,
Beyder Urbild zeiget mir einen Gott, der Koͤrper macht;
Die Copie beweiſt, daß Gott auch den Geiſt hervor gebracht.
No. 5.
Zwiſchen ſchroff-und jaͤhen Felſen, hoͤr ich das Gewaͤſſer rau-
ſchen,

Seh ich einen muntern Hirſch, hier aufmerkſam ſtehn und
lauſchen,

Voller innerlichen Gluht, voller bruͤnſtigen Begier,
Ob er nirgend Wild verſpuͤr.
Kaum getraut er ſeinen Lauft feſt zu ſetzen, um im hoͤren,
Sich, durch ungefaͤhres Raſcheln, unvorſichtig nicht zu ſtoͤren.
Sehet, wie ſo ſcharf er ſieht! hoͤrt, wie ſtark und laut er ſchreyt!
Der ſo ſchoͤn - als wilden Gegend deutliche Natuͤrlichkeit,
Wo auch das, was ſchrecket, ſchoͤn iſt, was verwildert, angenehm,
Und die wir, in unſerm Zimmer, jetzt durch Ridinger bequem,
Sonder ſteigen, ſehen koͤnnen, bringt uns billig auf die Spur
Des hier vorgeſtellten Urbilds, auf die wirkliche Natur.
Da wir fuͤrs Original, die Geſchoͤpfe, leider blind,
Durch Gewohnheit, worden ſind:
Sucht
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[219/0243] Die Hirſche. Sucht mein Aug am kuͤhlen Bach, unter Schatten-reichen Buͤ- ſchen, Unter Blaͤtter-reichen Baͤumen, in der Fern, ſich zu erfriſchen: Reiſſet ihn der edle Hirſch, mit Gewalt, auf ſich zuruͤck, Und indem ich ſeine Stellung, Anſtand, praͤchtige Geſtalt, Sein auf mich gerichtet Aug und den feſten Tritt beſchau, Schweift der Blick aufs neue weg, in die von der klaren Au Angenehm durchfloßne Gegend, wo ſich, von bebluͤmten Huͤgeln, Weiſſe Staͤmme, gruͤne Blaͤtter, in dem reinen Waſſer, ſpiegeln. Doch des Hirſches ſchoͤne Zweig, und ſein ſich bewegend Ohr, Reiſſen mich aus gruͤner Zweige ferner Tief aufs neu hervor, Beyder Urbild zeiget mir einen Gott, der Koͤrper macht; Die Copie beweiſt, daß Gott auch den Geiſt hervor gebracht. No. 5. Zwiſchen ſchroff-und jaͤhen Felſen, hoͤr ich das Gewaͤſſer rau- ſchen, Seh ich einen muntern Hirſch, hier aufmerkſam ſtehn und lauſchen, Voller innerlichen Gluht, voller bruͤnſtigen Begier, Ob er nirgend Wild verſpuͤr. Kaum getraut er ſeinen Lauft feſt zu ſetzen, um im hoͤren, Sich, durch ungefaͤhres Raſcheln, unvorſichtig nicht zu ſtoͤren. Sehet, wie ſo ſcharf er ſieht! hoͤrt, wie ſtark und laut er ſchreyt! Der ſo ſchoͤn - als wilden Gegend deutliche Natuͤrlichkeit, Wo auch das, was ſchrecket, ſchoͤn iſt, was verwildert, angenehm, Und die wir, in unſerm Zimmer, jetzt durch Ridinger bequem, Sonder ſteigen, ſehen koͤnnen, bringt uns billig auf die Spur Des hier vorgeſtellten Urbilds, auf die wirkliche Natur. Da wir fuͤrs Original, die Geſchoͤpfe, leider blind, Durch Gewohnheit, worden ſind: Sucht

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/243>, abgerufen am 22.12.2024.