Die Wipfel schienen fast, in Palmen - gleichen Zweigen, Jn sanfter Runde, sich herab zu neigen. Ein jeder Zweig war ein vereintes Blatt, Und wies dadurch, daß die Natur, An stets veränderter Figur, Stets einen neuen Vorrath hat.
Bewunderns-werth ist dieser Pflanzen Zier, Wenn man sie, mit betrachtendem Gemüth, Und nicht so, wie man pflegt, nur obenhin besieht. Die Farben brennen zwar, wie bunte Blumen, nicht, Weil ein fast röthlich Braun ihr helles Grüne bricht; Daher er, wenn man ihn nur obenhin beachtet, Mit einer Trauerfarb, so alles jetzt erfüllt, Auch gleichsam angethan und eingehüllt, Ein trübes Ansehn hat. Doch wenn ich in der Nähe Die Farben und die Form von dieser Pflanzen sehe: Erstaun ich, und mit Recht. Mehr, als man glauben kann, Trifft, wer sie so beschaut, besondre Wunder an. Wo ist ein Baum, des Stamm, zusamt den Zweigen, Den allerschönsten Purpur zeigen?
Ein blauer Duft, der sich verwischt, Jst mit dem glatten Roth gemischt, Womit sich Zweig und Stamm, so beyde esbar, decken. Ja, auf den Stengeln nicht allein, Selbst auf den Blättern, wird erblickt, Wie ein bald gelb-bald grün-bald Purpur - Duft sie schmückt: Nachdem sie selbst gefärbet seyn. Ein mit ein wenig Braun gemischtes Dunkelgrün, Wodurch die Aederchen, in schönstem Purpur, glühn, Wird auf den mehresten gesehn; Wobey jedoch, auf manchen Stellen,
Ver-
Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Die Wipfel ſchienen faſt, in Palmen - gleichen Zweigen, Jn ſanfter Runde, ſich herab zu neigen. Ein jeder Zweig war ein vereintes Blatt, Und wies dadurch, daß die Natur, An ſtets veraͤnderter Figur, Stets einen neuen Vorrath hat.
Bewunderns-werth iſt dieſer Pflanzen Zier, Wenn man ſie, mit betrachtendem Gemuͤth, Und nicht ſo, wie man pflegt, nur obenhin beſieht. Die Farben brennen zwar, wie bunte Blumen, nicht, Weil ein faſt roͤthlich Braun ihr helles Gruͤne bricht; Daher er, wenn man ihn nur obenhin beachtet, Mit einer Trauerfarb, ſo alles jetzt erfuͤllt, Auch gleichſam angethan und eingehuͤllt, Ein truͤbes Anſehn hat. Doch wenn ich in der Naͤhe Die Farben und die Form von dieſer Pflanzen ſehe: Erſtaun ich, und mit Recht. Mehr, als man glauben kann, Trifft, wer ſie ſo beſchaut, beſondre Wunder an. Wo iſt ein Baum, des Stamm, zuſamt den Zweigen, Den allerſchoͤnſten Purpur zeigen?
Ein blauer Duft, der ſich verwiſcht, Jſt mit dem glatten Roth gemiſcht, Womit ſich Zweig und Stamm, ſo beyde esbar, decken. Ja, auf den Stengeln nicht allein, Selbſt auf den Blaͤttern, wird erblickt, Wie ein bald gelb-bald gruͤn-bald Purpur - Duft ſie ſchmuͤckt: Nachdem ſie ſelbſt gefaͤrbet ſeyn. Ein mit ein wenig Braun gemiſchtes Dunkelgruͤn, Wodurch die Aederchen, in ſchoͤnſtem Purpur, gluͤhn, Wird auf den mehreſten geſehn; Wobey jedoch, auf manchen Stellen,
Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0236"n="212"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Betrachtung uͤber den braunen Kohl.</hi></fw><lb/><lgn="15"><l>Die Wipfel ſchienen faſt, in Palmen - gleichen Zweigen,</l><lb/><l>Jn ſanfter Runde, ſich herab zu neigen.</l><lb/><l>Ein jeder Zweig war ein vereintes Blatt,</l><lb/><l>Und wies dadurch, daß die Natur,</l><lb/><l>An ſtets veraͤnderter Figur,</l><lb/><l>Stets einen neuen Vorrath hat.</l></lg><lb/><lgn="16"><l>Bewunderns-werth iſt dieſer Pflanzen Zier,</l><lb/><l>Wenn man ſie, mit betrachtendem Gemuͤth,</l><lb/><l>Und nicht ſo, wie man pflegt, nur obenhin beſieht.</l><lb/><l>Die Farben brennen zwar, wie bunte Blumen, nicht,</l><lb/><l>Weil ein faſt roͤthlich Braun ihr helles Gruͤne bricht;</l><lb/><l>Daher er, wenn man ihn nur obenhin beachtet,</l><lb/><l>Mit einer Trauerfarb, ſo alles jetzt erfuͤllt,</l><lb/><l>Auch gleichſam angethan und eingehuͤllt,</l><lb/><l>Ein truͤbes Anſehn hat. Doch wenn ich in der Naͤhe</l><lb/><l>Die Farben und die Form von dieſer Pflanzen ſehe:</l><lb/><l>Erſtaun ich, und mit Recht. Mehr, als man glauben kann,</l><lb/><l>Trifft, wer ſie ſo beſchaut, beſondre Wunder an.</l><lb/><l>Wo iſt ein Baum, des Stamm, zuſamt den Zweigen,</l><lb/><l>Den allerſchoͤnſten Purpur zeigen?</l></lg><lb/><lgn="17"><l>Ein blauer Duft, der ſich verwiſcht,</l><lb/><l>Jſt mit dem glatten Roth gemiſcht,</l><lb/><l>Womit ſich Zweig und Stamm, ſo beyde esbar, decken.</l><lb/><l>Ja, auf den Stengeln nicht allein,</l><lb/><l>Selbſt auf den Blaͤttern, wird erblickt,</l><lb/><l>Wie ein bald gelb-bald gruͤn-bald Purpur - Duft ſie ſchmuͤckt:</l><lb/><l>Nachdem ſie ſelbſt gefaͤrbet ſeyn.</l><lb/><l>Ein mit ein wenig Braun gemiſchtes Dunkelgruͤn,</l><lb/><l>Wodurch die Aederchen, in ſchoͤnſtem Purpur, gluͤhn,</l><lb/><l>Wird auf den mehreſten geſehn;</l><lb/><l>Wobey jedoch, auf manchen Stellen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ver-</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[212/0236]
Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Die Wipfel ſchienen faſt, in Palmen - gleichen Zweigen,
Jn ſanfter Runde, ſich herab zu neigen.
Ein jeder Zweig war ein vereintes Blatt,
Und wies dadurch, daß die Natur,
An ſtets veraͤnderter Figur,
Stets einen neuen Vorrath hat.
Bewunderns-werth iſt dieſer Pflanzen Zier,
Wenn man ſie, mit betrachtendem Gemuͤth,
Und nicht ſo, wie man pflegt, nur obenhin beſieht.
Die Farben brennen zwar, wie bunte Blumen, nicht,
Weil ein faſt roͤthlich Braun ihr helles Gruͤne bricht;
Daher er, wenn man ihn nur obenhin beachtet,
Mit einer Trauerfarb, ſo alles jetzt erfuͤllt,
Auch gleichſam angethan und eingehuͤllt,
Ein truͤbes Anſehn hat. Doch wenn ich in der Naͤhe
Die Farben und die Form von dieſer Pflanzen ſehe:
Erſtaun ich, und mit Recht. Mehr, als man glauben kann,
Trifft, wer ſie ſo beſchaut, beſondre Wunder an.
Wo iſt ein Baum, des Stamm, zuſamt den Zweigen,
Den allerſchoͤnſten Purpur zeigen?
Ein blauer Duft, der ſich verwiſcht,
Jſt mit dem glatten Roth gemiſcht,
Womit ſich Zweig und Stamm, ſo beyde esbar, decken.
Ja, auf den Stengeln nicht allein,
Selbſt auf den Blaͤttern, wird erblickt,
Wie ein bald gelb-bald gruͤn-bald Purpur - Duft ſie ſchmuͤckt:
Nachdem ſie ſelbſt gefaͤrbet ſeyn.
Ein mit ein wenig Braun gemiſchtes Dunkelgruͤn,
Wodurch die Aederchen, in ſchoͤnſtem Purpur, gluͤhn,
Wird auf den mehreſten geſehn;
Wobey jedoch, auf manchen Stellen,
Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/236>, abgerufen am 19.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.