Hier erschrickst du, liebster Leser, und mit Recht, ja glaubst es kaum. Aber wie? wenn ich dir zeigte, daß solch Wunder tausendmal Von dir sey gesehen worden, sonder daß dein Augenstral Es beachtet und bewundert? Zeiget dir nicht jeder Baum Einen Halm in jedem Zweig, der dir Blüht und Früchte bringet, Eben so, wie Halm und Aehre? Anders ist kein Unterscheid, Als das jeder Halm im Korn, aus der Wurzel selbst entspringet, Da der Zweig nur mittelbar, durch den Stamm, hervor sich dringet, Und doch aus der Wurzel stammt. Liebste Menschen! ach er- weget, Welch ein Macht- und Weisheit-Wunder in den Pflanzen, uns zu nähren, Der, der alles schuf und schafft, durch sein Segenswort, geleget. Ach eröffnet doch die Augen, eine Gottheit zu verehren, Die ihr undurchdringlich Licht, das der Himmel Himmel füllt, Zu der Creaturen Besten, in die Creatur verhüllt. Preiset ihn, spannt alle Kräfte der vernünftgen Seelen an, Sehet, fühlet, riechet, schmeckt, hört, bewundert, überleget, Denkt, vergleicht, erstaunt für Andacht, wenn ihr Ehrfurchts-voll erweget, Bey den irdschen Wundertropfen, die man nicht begreifen kann, Was das tiefe Meer der Gottheit selber wohl vor Wunder heget.
Beym
Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn.
Hier erſchrickſt du, liebſter Leſer, und mit Recht, ja glaubſt es kaum. Aber wie? wenn ich dir zeigte, daß ſolch Wunder tauſendmal Von dir ſey geſehen worden, ſonder daß dein Augenſtral Es beachtet und bewundert? Zeiget dir nicht jeder Baum Einen Halm in jedem Zweig, der dir Bluͤht und Fruͤchte bringet, Eben ſo, wie Halm und Aehre? Anders iſt kein Unterſcheid, Als das jeder Halm im Korn, aus der Wurzel ſelbſt entſpringet, Da der Zweig nur mittelbar, durch den Stamm, hervor ſich dringet, Und doch aus der Wurzel ſtammt. Liebſte Menſchen! ach er- weget, Welch ein Macht- und Weisheit-Wunder in den Pflanzen, uns zu naͤhren, Der, der alles ſchuf und ſchafft, durch ſein Segenswort, geleget. Ach eroͤffnet doch die Augen, eine Gottheit zu verehren, Die ihr undurchdringlich Licht, das der Himmel Himmel fuͤllt, Zu der Creaturen Beſten, in die Creatur verhuͤllt. Preiſet ihn, ſpannt alle Kraͤfte der vernuͤnftgen Seelen an, Sehet, fuͤhlet, riechet, ſchmeckt, hoͤrt, bewundert, uͤberleget, Denkt, vergleicht, erſtaunt fuͤr Andacht, wenn ihr Ehrfurchts-voll erweget, Bey den irdſchen Wundertropfen, die man nicht begreifen kann, Was das tiefe Meer der Gottheit ſelber wohl vor Wunder heget.
Beym
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Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn.
Hier erſchrickſt du, liebſter Leſer, und mit Recht, ja glaubſt es
kaum.
Aber wie? wenn ich dir zeigte, daß ſolch Wunder tauſendmal
Von dir ſey geſehen worden, ſonder daß dein Augenſtral
Es beachtet und bewundert? Zeiget dir nicht jeder Baum
Einen Halm in jedem Zweig, der dir Bluͤht und Fruͤchte bringet,
Eben ſo, wie Halm und Aehre? Anders iſt kein Unterſcheid,
Als das jeder Halm im Korn, aus der Wurzel ſelbſt entſpringet,
Da der Zweig nur mittelbar, durch den Stamm, hervor ſich
dringet,
Und doch aus der Wurzel ſtammt. Liebſte Menſchen! ach er-
weget,
Welch ein Macht- und Weisheit-Wunder in den Pflanzen, uns
zu naͤhren,
Der, der alles ſchuf und ſchafft, durch ſein Segenswort, geleget.
Ach eroͤffnet doch die Augen, eine Gottheit zu verehren,
Die ihr undurchdringlich Licht, das der Himmel Himmel fuͤllt,
Zu der Creaturen Beſten, in die Creatur verhuͤllt.
Preiſet ihn, ſpannt alle Kraͤfte der vernuͤnftgen
Seelen an,
Sehet, fuͤhlet, riechet, ſchmeckt, hoͤrt, bewundert,
uͤberleget,
Denkt, vergleicht, erſtaunt fuͤr Andacht, wenn ihr
Ehrfurchts-voll erweget,
Bey den irdſchen Wundertropfen, die man nicht
begreifen kann,
Was das tiefe Meer der Gottheit ſelber wohl vor
Wunder heget.
Beym
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/100>, abgerufen am 25.11.2024.
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