Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs Gedichte.
Wenn wir uns in einem Stande, womit wir vergnügt, be-
finden,

Welches nicht geschicht, als nur, wenn wir von Begierd' und
Pein

Nichts empfinden,
Wird der Geist fast kein Bewegen und sonst kein Verlan-
gen spühren

Als, so wie er ist, zu bleiben, will nichts haben, nichts
verlieren.

Wie der grosse Schöpfer nun, unser Wesen schaffen wollen,
Daß wir nicht in stiller Faulheit hier auf Erden leben sollen;
Hat er uns für Durst und Hunger eine Sehnsucht ein-
geprägt,

Und von andern Trieben mehr einen Druck in uns gelegt,
Welches denn die rechten Sporen, wodurch wir zu tau-
send Dingen

Kräftig angetrieben werden und woraus allein entspringen
Alle menschlichen Geschäfte. Wenn wir, unsern Leib zu
nähren,

Das Gemüth mit Ruhm zu speisen, und dann auch uns
zu vermehren,

Nicht, durch Lust-vermischten Drang, wunderbar gepresset
wären;

Würden wir, in fauler Stille, sonder Sehnsucht, ohne
Willen

Fast von allen unsern Pflichten nichts verrichten, nichts er-
füllen.

Da ich nun hiebey noch einst unser innerstes erwege
Und das Hirn, das Hertz, den Bauch wol betracht' und
überlege;

Scheint es, als ob in uns allen gleichsam ein vereintes Drey
Und ein Reich von dreyen Reichen deutlich anzutreffen sey.
Jm
J i 4
Neu-Jahrs Gedichte.
Wenn wir uns in einem Stande, womit wir vergnuͤgt, be-
finden,

Welches nicht geſchicht, als nur, wenn wir von Begierd’ und
Pein

Nichts empfinden,
Wird der Geiſt faſt kein Bewegen und ſonſt kein Verlan-
gen ſpuͤhren

Als, ſo wie er iſt, zu bleiben, will nichts haben, nichts
verlieren.

Wie der groſſe Schoͤpfer nun, unſer Weſen ſchaffen wollen,
Daß wir nicht in ſtiller Faulheit hier auf Erden leben ſollen;
Hat er uns fuͤr Durſt und Hunger eine Sehnſucht ein-
gepraͤgt,

Und von andern Trieben mehr einen Druck in uns gelegt,
Welches denn die rechten Sporen, wodurch wir zu tau-
ſend Dingen

Kraͤftig angetrieben werden und woraus allein entſpringen
Alle menſchlichen Geſchaͤfte. Wenn wir, unſern Leib zu
naͤhren,

Das Gemuͤth mit Ruhm zu ſpeiſen, und dann auch uns
zu vermehren,

Nicht, durch Luſt-vermiſchten Drang, wunderbar gepreſſet
waͤren;

Wuͤrden wir, in fauler Stille, ſonder Sehnſucht, ohne
Willen

Faſt von allen unſern Pflichten nichts verrichten, nichts er-
fuͤllen.

Da ich nun hiebey noch einſt unſer innerſtes erwege
Und das Hirn, das Hertz, den Bauch wol betracht’ und
uͤberlege;

Scheint es, als ob in uns allen gleichſam ein vereintes Drey
Und ein Reich von dreyen Reichen deutlich anzutreffen ſey.
Jm
J i 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0519" n="503"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="189">
            <l>Wenn wir uns in einem Stande, womit wir vergnu&#x0364;gt, be-<lb/><hi rendition="#et">finden,</hi></l><lb/>
            <l>Welches nicht ge&#x017F;chicht, als nur, wenn wir von Begierd&#x2019; und<lb/><hi rendition="#et">Pein</hi></l><lb/>
            <l>Nichts empfinden,</l><lb/>
            <l>Wird der Gei&#x017F;t fa&#x017F;t kein Bewegen und &#x017F;on&#x017F;t kein Verlan-<lb/><hi rendition="#et">gen &#x017F;pu&#x0364;hren</hi></l><lb/>
            <l>Als, &#x017F;o wie er i&#x017F;t, zu bleiben, will nichts haben, nichts<lb/><hi rendition="#et">verlieren.</hi></l><lb/>
            <l>Wie der gro&#x017F;&#x017F;e Scho&#x0364;pfer nun, un&#x017F;er We&#x017F;en &#x017F;chaffen wollen,</l><lb/>
            <l>Daß wir nicht in &#x017F;tiller Faulheit hier auf Erden leben &#x017F;ollen;</l><lb/>
            <l>Hat er uns fu&#x0364;r Dur&#x017F;t und Hunger eine Sehn&#x017F;ucht ein-<lb/><hi rendition="#et">gepra&#x0364;gt,</hi></l><lb/>
            <l>Und von andern Trieben mehr einen Druck in uns gelegt,</l><lb/>
            <l>Welches denn die rechten Sporen, wodurch wir zu tau-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;end Dingen</hi></l><lb/>
            <l>Kra&#x0364;ftig angetrieben werden und woraus allein ent&#x017F;pringen</l><lb/>
            <l>Alle men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte. Wenn wir, <hi rendition="#fr">un&#x017F;ern Leib zu<lb/><hi rendition="#et">na&#x0364;hren,</hi></hi></l><lb/>
            <l>Das <hi rendition="#fr">Gemu&#x0364;th mit Ruhm zu &#x017F;pei&#x017F;en,</hi> und dann auch <hi rendition="#fr">uns<lb/><hi rendition="#et">zu vermehren,</hi></hi></l><lb/>
            <l>Nicht, durch Lu&#x017F;t-vermi&#x017F;chten Drang, wunderbar gepre&#x017F;&#x017F;et<lb/><hi rendition="#et">wa&#x0364;ren;</hi></l><lb/>
            <l>Wu&#x0364;rden wir, in fauler Stille, &#x017F;onder Sehn&#x017F;ucht, ohne<lb/><hi rendition="#et">Willen</hi></l><lb/>
            <l>Fa&#x017F;t von allen un&#x017F;ern Pflichten nichts verrichten, nichts er-<lb/><hi rendition="#et">fu&#x0364;llen.</hi></l><lb/>
            <l>Da ich nun hiebey noch ein&#x017F;t un&#x017F;er inner&#x017F;tes erwege</l><lb/>
            <l>Und das Hirn, das Hertz, den Bauch wol betracht&#x2019; und<lb/><hi rendition="#et">u&#x0364;berlege;</hi></l><lb/>
            <l>Scheint es, als ob in uns allen gleich&#x017F;am ein vereintes Drey</l><lb/>
            <l>Und ein Reich von dreyen Reichen deutlich anzutreffen &#x017F;ey.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J i 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Jm</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[503/0519] Neu-Jahrs Gedichte. Wenn wir uns in einem Stande, womit wir vergnuͤgt, be- finden, Welches nicht geſchicht, als nur, wenn wir von Begierd’ und Pein Nichts empfinden, Wird der Geiſt faſt kein Bewegen und ſonſt kein Verlan- gen ſpuͤhren Als, ſo wie er iſt, zu bleiben, will nichts haben, nichts verlieren. Wie der groſſe Schoͤpfer nun, unſer Weſen ſchaffen wollen, Daß wir nicht in ſtiller Faulheit hier auf Erden leben ſollen; Hat er uns fuͤr Durſt und Hunger eine Sehnſucht ein- gepraͤgt, Und von andern Trieben mehr einen Druck in uns gelegt, Welches denn die rechten Sporen, wodurch wir zu tau- ſend Dingen Kraͤftig angetrieben werden und woraus allein entſpringen Alle menſchlichen Geſchaͤfte. Wenn wir, unſern Leib zu naͤhren, Das Gemuͤth mit Ruhm zu ſpeiſen, und dann auch uns zu vermehren, Nicht, durch Luſt-vermiſchten Drang, wunderbar gepreſſet waͤren; Wuͤrden wir, in fauler Stille, ſonder Sehnſucht, ohne Willen Faſt von allen unſern Pflichten nichts verrichten, nichts er- fuͤllen. Da ich nun hiebey noch einſt unſer innerſtes erwege Und das Hirn, das Hertz, den Bauch wol betracht’ und uͤberlege; Scheint es, als ob in uns allen gleichſam ein vereintes Drey Und ein Reich von dreyen Reichen deutlich anzutreffen ſey. Jm J i 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/519
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/519>, abgerufen am 24.11.2024.