Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs Gedichte.
Ueber diese Seelen Kräfte, herrschet noch in unsrer Seele
Eine Wunder Kraft zu WOLLEN. Da ich nemlich et-
was wehle,

Welches mir gefällt; und meide, was mir nicht gefällig ist.
Dieß Vermögen ist so nöhtig, daß wir, wenn mans recht
ermißt,

Ohne dieß kaum Menschen wären. Könnten wir uns nicht
entschliessen;

Würden wir, in stetem Zweifel, weder etwas böses fliehn,
Noch was gutes zu erwehlen uns entschliessen, uns bemühn;
Folglich würden alle Menschen, ungeschickt zu allen Dingen,
Nichts von allen ihren Pflichten aufgelegt seyn zu voll-
bringen.

Handel, Wandel, Acker-Bau, Eh', Geschellschaft, Policey,
Alles hörte plötzlich auf, wenn es uns an Willen fehlte,
Und man sich mit Ungewißheit, ohn Entschliessen, immer
qvälte.

Dieser Wahrheit tritt nicht nur das bekannte Sprichwort
bey:

Daß ein Thor, der sich entschliesset, klüger, als zehn Kluge,
sey,

Die sich nicht entschliessen können; sondern jeder wird gestehn,
Daß die menschliche Gesellschaft, ohne diese Kraft, vergehn
Und durchaus verkommen müste.
Dieser Will ist eigentlich eine solche Eigenschaft
Unsers Geistes, oder besser: er ist eine rege Kraft,
Die Gedancken einzurichten, daß ein' Handlung auf der
Erde

Vorgenommen, fortgeführet, oder auch gehemmet werde.
Wenn wir nun nicht wollen könnten; würd' auf un-
serm Erden Kreise

Alles was wir sehn, verwirrt und, auf recht betrübte Weise,
Alles
Neu-Jahrs Gedichte.
Ueber dieſe Seelen Kraͤfte, herrſchet noch in unſrer Seele
Eine Wunder Kraft zu WOLLEN. Da ich nemlich et-
was wehle,

Welches mir gefaͤllt; und meide, was mir nicht gefaͤllig iſt.
Dieß Vermoͤgen iſt ſo noͤhtig, daß wir, wenn mans recht
ermißt,

Ohne dieß kaum Menſchen waͤren. Koͤnnten wir uns nicht
entſchlieſſen;

Wuͤrden wir, in ſtetem Zweifel, weder etwas boͤſes fliehn,
Noch was gutes zu erwehlen uns entſchlieſſen, uns bemuͤhn;
Folglich wuͤrden alle Menſchen, ungeſchickt zu allen Dingen,
Nichts von allen ihren Pflichten aufgelegt ſeyn zu voll-
bringen.

Handel, Wandel, Acker-Bau, Eh’, Geſchellſchaft, Policey,
Alles hoͤrte ploͤtzlich auf, wenn es uns an Willen fehlte,
Und man ſich mit Ungewißheit, ohn Entſchlieſſen, immer
qvaͤlte.

Dieſer Wahrheit tritt nicht nur das bekannte Sprichwort
bey:

Daß ein Thor, der ſich entſchlieſſet, kluͤger, als zehn Kluge,
ſey,

Die ſich nicht entſchlieſſen koͤnnen; ſondern jeder wird geſtehn,
Daß die menſchliche Geſellſchaft, ohne dieſe Kraft, vergehn
Und durchaus verkommen muͤſte.
Dieſer Will iſt eigentlich eine ſolche Eigenſchaft
Unſers Geiſtes, oder beſſer: er iſt eine rege Kraft,
Die Gedancken einzurichten, daß ein’ Handlung auf der
Erde

Vorgenommen, fortgefuͤhret, oder auch gehemmet werde.
Wenn wir nun nicht wollen koͤnnten; wuͤrd’ auf un-
ſerm Erden Kreiſe

Alles was wir ſehn, verwirrt und, auf recht betruͤbte Weiſe,
Alles
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0514" n="498"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="179">
            <l>Ueber die&#x017F;e Seelen Kra&#x0364;fte, herr&#x017F;chet noch in un&#x017F;rer Seele</l><lb/>
            <l>Eine Wunder Kraft zu <hi rendition="#fr">WOLLEN.</hi> Da ich nemlich et-<lb/><hi rendition="#et">was wehle,</hi></l><lb/>
            <l>Welches mir gefa&#x0364;llt; und meide, was mir nicht gefa&#x0364;llig i&#x017F;t.</l><lb/>
            <l>Dieß Vermo&#x0364;gen i&#x017F;t &#x017F;o no&#x0364;htig, daß wir, wenn mans recht<lb/><hi rendition="#et">ermißt,</hi></l><lb/>
            <l>Ohne dieß kaum Men&#x017F;chen wa&#x0364;ren. Ko&#x0364;nnten wir uns nicht<lb/><hi rendition="#et">ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en;</hi></l><lb/>
            <l>Wu&#x0364;rden wir, in &#x017F;tetem Zweifel, weder etwas bo&#x0364;&#x017F;es fliehn,</l><lb/>
            <l>Noch was gutes zu erwehlen uns ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, uns bemu&#x0364;hn;</l><lb/>
            <l>Folglich wu&#x0364;rden alle Men&#x017F;chen, unge&#x017F;chickt zu allen Dingen,</l><lb/>
            <l>Nichts von allen ihren Pflichten aufgelegt &#x017F;eyn zu voll-<lb/><hi rendition="#et">bringen.</hi></l><lb/>
            <l>Handel, Wandel, Acker-Bau, Eh&#x2019;, Ge&#x017F;chell&#x017F;chaft, Policey,</l><lb/>
            <l>Alles ho&#x0364;rte plo&#x0364;tzlich auf, wenn es uns an Willen fehlte,</l><lb/>
            <l>Und man &#x017F;ich mit Ungewißheit, ohn Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, immer<lb/><hi rendition="#et">qva&#x0364;lte.</hi></l><lb/>
            <l>Die&#x017F;er Wahrheit tritt nicht nur das bekannte Sprichwort<lb/><hi rendition="#et">bey:</hi></l><lb/>
            <l>Daß ein Thor, der &#x017F;ich ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;et, klu&#x0364;ger, als zehn Kluge,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ey,</hi></l><lb/>
            <l>Die &#x017F;ich nicht ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen; &#x017F;ondern jeder wird ge&#x017F;tehn,</l><lb/>
            <l>Daß die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, ohne die&#x017F;e Kraft, vergehn</l><lb/>
            <l>Und durchaus verkommen mu&#x0364;&#x017F;te.</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;er Will i&#x017F;t eigentlich eine &#x017F;olche Eigen&#x017F;chaft</l><lb/>
            <l>Un&#x017F;ers Gei&#x017F;tes, oder be&#x017F;&#x017F;er: er i&#x017F;t eine rege Kraft,</l><lb/>
            <l>Die Gedancken einzurichten, daß ein&#x2019; Handlung auf der<lb/><hi rendition="#et">Erde</hi></l><lb/>
            <l>Vorgenommen, fortgefu&#x0364;hret, oder auch gehemmet werde.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="180">
            <l>Wenn wir nun nicht wollen ko&#x0364;nnten; wu&#x0364;rd&#x2019; auf un-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;erm Erden Krei&#x017F;e</hi></l><lb/>
            <l>Alles was wir &#x017F;ehn, verwirrt und, auf recht betru&#x0364;bte Wei&#x017F;e,</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Alles</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[498/0514] Neu-Jahrs Gedichte. Ueber dieſe Seelen Kraͤfte, herrſchet noch in unſrer Seele Eine Wunder Kraft zu WOLLEN. Da ich nemlich et- was wehle, Welches mir gefaͤllt; und meide, was mir nicht gefaͤllig iſt. Dieß Vermoͤgen iſt ſo noͤhtig, daß wir, wenn mans recht ermißt, Ohne dieß kaum Menſchen waͤren. Koͤnnten wir uns nicht entſchlieſſen; Wuͤrden wir, in ſtetem Zweifel, weder etwas boͤſes fliehn, Noch was gutes zu erwehlen uns entſchlieſſen, uns bemuͤhn; Folglich wuͤrden alle Menſchen, ungeſchickt zu allen Dingen, Nichts von allen ihren Pflichten aufgelegt ſeyn zu voll- bringen. Handel, Wandel, Acker-Bau, Eh’, Geſchellſchaft, Policey, Alles hoͤrte ploͤtzlich auf, wenn es uns an Willen fehlte, Und man ſich mit Ungewißheit, ohn Entſchlieſſen, immer qvaͤlte. Dieſer Wahrheit tritt nicht nur das bekannte Sprichwort bey: Daß ein Thor, der ſich entſchlieſſet, kluͤger, als zehn Kluge, ſey, Die ſich nicht entſchlieſſen koͤnnen; ſondern jeder wird geſtehn, Daß die menſchliche Geſellſchaft, ohne dieſe Kraft, vergehn Und durchaus verkommen muͤſte. Dieſer Will iſt eigentlich eine ſolche Eigenſchaft Unſers Geiſtes, oder beſſer: er iſt eine rege Kraft, Die Gedancken einzurichten, daß ein’ Handlung auf der Erde Vorgenommen, fortgefuͤhret, oder auch gehemmet werde. Wenn wir nun nicht wollen koͤnnten; wuͤrd’ auf un- ſerm Erden Kreiſe Alles was wir ſehn, verwirrt und, auf recht betruͤbte Weiſe, Alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/514
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/514>, abgerufen am 24.11.2024.