Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs Gedichte.
Wer kann dieß Wunder gnug bewundern? Dieß Glied ist
durch ein schlanckes Wesen

Bereitet und geschickt gemacht, ja eigentlich dazu erlesen,
Jn fertiger Geschwindigkeit, auf tausend Arten, sich zu biegen,
Viel tausend Wörter zu formiren, und, durch sie, Geister
selbst zu fügen;

Jndem sie mir, was deine Seele; dir, was die meine, in
sich hegt,

Entdeckt, und fast das Jnnerste des Geists in einen andern
prägt.

Bedenckt, nicht sonder GOtt zu loben, wie sie zu solchem
schnellen Regen

So wunderbar geschickt gemacht, da fünff-par Muskeln
sie bewegen,

Sie auf und abwärts, vorn und hinten, zur rechten und zur
lincken Seiten,

Zu dem veränderlichen Endzweck, das Wort zu bilden,
lencken, leiten.

Hiedurch, (so gar ein grosses Wunder, ein unbegreiflich
Meisterstück)

Weiß sie sich tausendfach zu drehen, sich lang und kurtz, sich
dünn und dick,

Jn schnellen Wendungen, zu machen, auf so viel Arten sich
zu lencken,

Daß es uns fast unmöglich fällt, Bewegungs-Arten zu
erdencken,

Die sie nicht fähig auszudrücken. Jhr Amt nun leichter
zu erfüllen,

Sieht man im Mund', o neues Wunder! viel tausend
Speichel-Quellen quillen,

Sie immer schlüpfrig zu erhalten. Weil sonder solche
Feuchtigkeit,

Sich nicht erhalten würd' und könte die fertige Beschaffenheit.
Nicht weniger ist, nebst der Zunge, der regen Lippen künst-
lich Par,
Das
G g 4
Neu-Jahrs Gedichte.
Wer kann dieß Wunder gnug bewundern? Dieß Glied iſt
durch ein ſchlanckes Weſen

Bereitet und geſchickt gemacht, ja eigentlich dazu erleſen,
Jn fertiger Geſchwindigkeit, auf tauſend Arten, ſich zu biegen,
Viel tauſend Woͤrter zu formiren, und, durch ſie, Geiſter
ſelbſt zu fuͤgen;

Jndem ſie mir, was deine Seele; dir, was die meine, in
ſich hegt,

Entdeckt, und faſt das Jnnerſte des Geiſts in einen andern
praͤgt.

Bedenckt, nicht ſonder GOtt zu loben, wie ſie zu ſolchem
ſchnellen Regen

So wunderbar geſchickt gemacht, da fuͤnff-par Muskeln
ſie bewegen,

Sie auf und abwaͤrts, vorn und hinten, zur rechten und zur
lincken Seiten,

Zu dem veraͤnderlichen Endzweck, das Wort zu bilden,
lencken, leiten.

Hiedurch, (ſo gar ein groſſes Wunder, ein unbegreiflich
Meiſterſtuͤck)

Weiß ſie ſich tauſendfach zu drehen, ſich lang und kurtz, ſich
duͤnn und dick,

Jn ſchnellen Wendungen, zu machen, auf ſo viel Arten ſich
zu lencken,

Daß es uns faſt unmoͤglich faͤllt, Bewegungs-Arten zu
erdencken,

Die ſie nicht faͤhig auszudruͤcken. Jhr Amt nun leichter
zu erfuͤllen,

Sieht man im Mund’, o neues Wunder! viel tauſend
Speichel-Quellen quillen,

Sie immer ſchluͤpfrig zu erhalten. Weil ſonder ſolche
Feuchtigkeit,

Sich nicht erhalten wuͤrd’ und koͤnte die fertige Beſchaffenheit.
Nicht weniger iſt, nebſt der Zunge, der regen Lippen kuͤnſt-
lich Par,
Das
G g 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0487" n="471"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="136">
            <l>Wer kann dieß Wunder gnug bewundern? Dieß Glied i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">durch ein &#x017F;chlanckes We&#x017F;en</hi></l><lb/>
            <l>Bereitet und ge&#x017F;chickt gemacht, ja eigentlich dazu erle&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Jn fertiger Ge&#x017F;chwindigkeit, auf tau&#x017F;end Arten, &#x017F;ich zu biegen,</l><lb/>
            <l>Viel tau&#x017F;end Wo&#x0364;rter zu formiren, und, durch &#x017F;ie, Gei&#x017F;ter<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;elb&#x017F;t zu fu&#x0364;gen;</hi></l><lb/>
            <l>Jndem &#x017F;ie mir, was deine Seele; dir, was die meine, in<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich hegt,</hi></l><lb/>
            <l>Entdeckt, und fa&#x017F;t das Jnner&#x017F;te des Gei&#x017F;ts in einen andern<lb/><hi rendition="#et">pra&#x0364;gt.</hi></l><lb/>
            <l>Bedenckt, nicht &#x017F;onder GOtt zu loben, wie &#x017F;ie zu &#x017F;olchem<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chnellen Regen</hi></l><lb/>
            <l>So wunderbar ge&#x017F;chickt gemacht, da fu&#x0364;nff-par Muskeln<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ie bewegen,</hi></l><lb/>
            <l>Sie auf und abwa&#x0364;rts, vorn und hinten, zur rechten und zur<lb/><hi rendition="#et">lincken Seiten,</hi></l><lb/>
            <l>Zu dem vera&#x0364;nderlichen Endzweck, das Wort zu bilden,<lb/><hi rendition="#et">lencken, leiten.</hi></l><lb/>
            <l>Hiedurch, (&#x017F;o gar ein gro&#x017F;&#x017F;es Wunder, ein unbegreiflich<lb/><hi rendition="#et">Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck)</hi></l><lb/>
            <l>Weiß &#x017F;ie &#x017F;ich tau&#x017F;endfach zu drehen, &#x017F;ich lang und kurtz, &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">du&#x0364;nn und dick,</hi></l><lb/>
            <l>Jn &#x017F;chnellen Wendungen, zu machen, auf &#x017F;o viel Arten &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">zu lencken,</hi></l><lb/>
            <l>Daß es uns fa&#x017F;t unmo&#x0364;glich fa&#x0364;llt, Bewegungs-Arten zu<lb/><hi rendition="#et">erdencken,</hi></l><lb/>
            <l>Die &#x017F;ie nicht fa&#x0364;hig auszudru&#x0364;cken. Jhr Amt nun leichter<lb/><hi rendition="#et">zu erfu&#x0364;llen,</hi></l><lb/>
            <l>Sieht man im Mund&#x2019;, o neues Wunder! viel tau&#x017F;end<lb/><hi rendition="#et">Speichel-Quellen quillen,</hi></l><lb/>
            <l>Sie immer &#x017F;chlu&#x0364;pfrig zu erhalten. Weil &#x017F;onder &#x017F;olche<lb/><hi rendition="#et">Feuchtigkeit,</hi></l><lb/>
            <l>Sich nicht erhalten wu&#x0364;rd&#x2019; und ko&#x0364;nte die fertige Be&#x017F;chaffenheit.</l><lb/>
            <l>Nicht weniger i&#x017F;t, neb&#x017F;t der Zunge, der regen Lippen ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/><hi rendition="#et">lich Par,</hi></l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G g 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0487] Neu-Jahrs Gedichte. Wer kann dieß Wunder gnug bewundern? Dieß Glied iſt durch ein ſchlanckes Weſen Bereitet und geſchickt gemacht, ja eigentlich dazu erleſen, Jn fertiger Geſchwindigkeit, auf tauſend Arten, ſich zu biegen, Viel tauſend Woͤrter zu formiren, und, durch ſie, Geiſter ſelbſt zu fuͤgen; Jndem ſie mir, was deine Seele; dir, was die meine, in ſich hegt, Entdeckt, und faſt das Jnnerſte des Geiſts in einen andern praͤgt. Bedenckt, nicht ſonder GOtt zu loben, wie ſie zu ſolchem ſchnellen Regen So wunderbar geſchickt gemacht, da fuͤnff-par Muskeln ſie bewegen, Sie auf und abwaͤrts, vorn und hinten, zur rechten und zur lincken Seiten, Zu dem veraͤnderlichen Endzweck, das Wort zu bilden, lencken, leiten. Hiedurch, (ſo gar ein groſſes Wunder, ein unbegreiflich Meiſterſtuͤck) Weiß ſie ſich tauſendfach zu drehen, ſich lang und kurtz, ſich duͤnn und dick, Jn ſchnellen Wendungen, zu machen, auf ſo viel Arten ſich zu lencken, Daß es uns faſt unmoͤglich faͤllt, Bewegungs-Arten zu erdencken, Die ſie nicht faͤhig auszudruͤcken. Jhr Amt nun leichter zu erfuͤllen, Sieht man im Mund’, o neues Wunder! viel tauſend Speichel-Quellen quillen, Sie immer ſchluͤpfrig zu erhalten. Weil ſonder ſolche Feuchtigkeit, Sich nicht erhalten wuͤrd’ und koͤnte die fertige Beſchaffenheit. Nicht weniger iſt, nebſt der Zunge, der regen Lippen kuͤnſt- lich Par, Das G g 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/487
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/487>, abgerufen am 22.11.2024.