Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.Neu-Jahrs Gedichte. Sie sollen sich in Zähn- und Augen, in Gaum, in Schlund und Wangen strecken, Ja man soll in der Brust, im Bauch, ja gar in Füssen sie entdecken. Wodurch denn unser gantzer Cörper, durch diese Zweige schnell gerührt, Und, durch denselben, Geist und Seele die zitternde Bewe- gung spürt. So wie ein Cörper einen andern oft hemmet und ihn oft bewegt; So wircket auch durchs Ohr ein Ton, daß sich das Blut bald regt, bald legt. Man kann es durch ein heftig Schallen bewegen und in Wallung bringen, Und wieder in den vor'gen Gang, durch ein gelind- und sanftes Klingen. Man kann durch Luft, Gehör und Ton verschiedner Wörter unsre Seelen Erfreuen, reitzen, ärgern, trösten, besänftigen, bedrohn und quälen. Nun müssen wir, von denen Theilen, die sich in unserm Munde, rühren, Und die zur Absicht des Gehörs, die Töne wunderbar formiren, Auch etwas vorzubringen suchen, weil die, nicht weniger, wie jene, Ein Wunder-Werck des Höchsten sind. Des gantzen Mundes Form, die Zähne, Die Lunge, Luft-Röhr, Gaum und Lippen, die Kähle, Wangen und der Schlund, Vor allen aber macht die Zunge des grossen Schöpfers Weisheit, kund, Als die mau unsrer Seelen Feder, durch die das Ohr den Geist erkennt, Und einen Dolmetsch der Gedancken, die man nicht siehet, billig nennt. Wer
Neu-Jahrs Gedichte. Sie ſollen ſich in Zaͤhn- und Augen, in Gaum, in Schlund und Wangen ſtrecken, Ja man ſoll in der Bruſt, im Bauch, ja gar in Fuͤſſen ſie entdecken. Wodurch denn unſer gantzer Coͤrper, durch dieſe Zweige ſchnell geruͤhrt, Und, durch denſelben, Geiſt und Seele die zitternde Bewe- gung ſpuͤrt. So wie ein Coͤrper einen andern oft hemmet und ihn oft bewegt; So wircket auch durchs Ohr ein Ton, daß ſich das Blut bald regt, bald legt. Man kann es durch ein heftig Schallen bewegen und in Wallung bringen, Und wieder in den vor’gen Gang, durch ein gelind- und ſanftes Klingen. Man kann durch Luft, Gehoͤr und Ton verſchiedner Woͤrter unſre Seelen Erfreuen, reitzen, aͤrgern, troͤſten, beſaͤnftigen, bedrohn und quaͤlen. Nun muͤſſen wir, von denen Theilen, die ſich in unſerm Munde, ruͤhren, Und die zur Abſicht des Gehoͤrs, die Toͤne wunderbar formiren, Auch etwas vorzubringen ſuchen, weil die, nicht weniger, wie jene, Ein Wunder-Werck des Hoͤchſten ſind. Des gantzen Mundes Form, die Zaͤhne, Die Lunge, Luft-Roͤhr, Gaum und Lippen, die Kaͤhle, Wangen und der Schlund, Vor allen aber macht die Zunge des groſſen Schoͤpfers Weisheit, kund, Als die mau unſrer Seelen Feder, durch die das Ohr den Geiſt erkennt, Und einen Dolmetſch der Gedancken, die man nicht ſiehet, billig nennt. Wer
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Neu-Jahrs Gedichte.
Sie ſollen ſich in Zaͤhn- und Augen, in Gaum, in
Schlund und Wangen ſtrecken,
Ja man ſoll in der Bruſt, im Bauch, ja gar in Fuͤſſen ſie
entdecken.
Wodurch denn unſer gantzer Coͤrper, durch dieſe Zweige
ſchnell geruͤhrt,
Und, durch denſelben, Geiſt und Seele die zitternde Bewe-
gung ſpuͤrt.
So wie ein Coͤrper einen andern oft hemmet und ihn oft
bewegt;
So wircket auch durchs Ohr ein Ton, daß ſich das Blut
bald regt, bald legt.
Man kann es durch ein heftig Schallen bewegen und in
Wallung bringen,
Und wieder in den vor’gen Gang, durch ein gelind- und
ſanftes Klingen.
Man kann durch Luft, Gehoͤr und Ton verſchiedner Woͤrter
unſre Seelen
Erfreuen, reitzen, aͤrgern, troͤſten, beſaͤnftigen, bedrohn
und quaͤlen.
Nun muͤſſen wir, von denen Theilen, die ſich in unſerm
Munde, ruͤhren,
Und die zur Abſicht des Gehoͤrs, die Toͤne wunderbar
formiren,
Auch etwas vorzubringen ſuchen, weil die, nicht weniger,
wie jene,
Ein Wunder-Werck des Hoͤchſten ſind. Des gantzen Mundes
Form, die Zaͤhne,
Die Lunge, Luft-Roͤhr, Gaum und Lippen, die Kaͤhle,
Wangen und der Schlund,
Vor allen aber macht die Zunge des groſſen Schoͤpfers
Weisheit, kund,
Als die mau unſrer Seelen Feder, durch die das Ohr den
Geiſt erkennt,
Und einen Dolmetſch der Gedancken, die man nicht ſiehet,
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