Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.Neu-Jahrs Gedichte. Man stelle sich, wofern man kann, die Menschheit, sonder Rede, für: Die gantze Welt wär' ohne Zweiffel in einem jämmerlichen Stande; Der Mensch wär' nur dem Ansehn nach ein Mensch, und in der That ein Thier; Wir würden immer Frembdling seyn in unserm eignem Vaterlande. Kein Regiment, kein Freundschafts-Band, kein Trost, kein Zeit-Vertreib, kein Rath, Kein' Ordnung, keine Wissenschaft, kein GOttes-Dienst und kein Gesetze, Kein' Ehre, keine Kunst, kein Handel, sind ohne Rede. Alle Schätze Der menschlichen Geselligkeit sind, sonder Sprechen, in der That Verschwunden und ein leeres Nichts. Der Seelen Frucht, die nicht zu sehen, Die geistigen Gedancken, würden, sammt ihren Lettern, den Jdeen Jn der Gebuhrt schon wieder sterben, und, eh sie würden, schon vergehen: Ja blieben, sonder Sprach' und Worte, die wir von GOtt empfangen haben, Als wie ein Kind im Mutter-Leib', im schlipfrichen Ge- hirn, begraben. Einfolglich würde, sonder Red', es uns und aller Men- schen Seelen, An ihrem auserlesensten Talent, Geschicklichkeit und Kraft, An ihrer allerbesten Wirckung, und sie ihr gleichsam selber, fehlen. Da sie, wenn man es wohl erwegt, so daß sie selbst es kaum empfindet, Durch Worte gleichsam wächst und zunimmt. Recht wie ein Licht das sich entzündet Durch
Neu-Jahrs Gedichte. Man ſtelle ſich, wofern man kann, die Menſchheit, ſonder Rede, fuͤr: Die gantze Welt waͤr’ ohne Zweiffel in einem jaͤmmerlichen Stande; Der Menſch waͤr’ nur dem Anſehn nach ein Menſch, und in der That ein Thier; Wir wuͤrden immer Frembdling ſeyn in unſerm eignem Vaterlande. Kein Regiment, kein Freundſchafts-Band, kein Troſt, kein Zeit-Vertreib, kein Rath, Kein’ Ordnung, keine Wiſſenſchaft, kein GOttes-Dienſt und kein Geſetze, Kein’ Ehre, keine Kunſt, kein Handel, ſind ohne Rede. Alle Schaͤtze Der menſchlichen Geſelligkeit ſind, ſonder Sprechen, in der That Verſchwunden und ein leeres Nichts. Der Seelen Frucht, die nicht zu ſehen, Die geiſtigen Gedancken, wuͤrden, ſammt ihren Lettern, den Jdeen Jn der Gebuhrt ſchon wieder ſterben, und, eh ſie wuͤrden, ſchon vergehen: Ja blieben, ſonder Sprach’ und Worte, die wir von GOtt empfangen haben, Als wie ein Kind im Mutter-Leib’, im ſchlipfrichen Ge- hirn, begraben. Einfolglich wuͤrde, ſonder Red’, es uns und aller Men- ſchen Seelen, An ihrem auserleſenſten Talent, Geſchicklichkeit und Kraft, An ihrer allerbeſten Wirckung, und ſie ihr gleichſam ſelber, fehlen. Da ſie, wenn man es wohl erwegt, ſo daß ſie ſelbſt es kaum empfindet, Durch Worte gleichſam waͤchſt und zunimmt. Recht wie ein Licht das ſich entzuͤndet Durch
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Neu-Jahrs Gedichte.
Man ſtelle ſich, wofern man kann, die Menſchheit, ſonder
Rede, fuͤr:
Die gantze Welt waͤr’ ohne Zweiffel in einem jaͤmmerlichen
Stande;
Der Menſch waͤr’ nur dem Anſehn nach ein Menſch,
und in der That ein Thier;
Wir wuͤrden immer Frembdling ſeyn in unſerm eignem
Vaterlande.
Kein Regiment, kein Freundſchafts-Band, kein Troſt, kein
Zeit-Vertreib, kein Rath,
Kein’ Ordnung, keine Wiſſenſchaft, kein GOttes-Dienſt
und kein Geſetze,
Kein’ Ehre, keine Kunſt, kein Handel, ſind ohne Rede.
Alle Schaͤtze
Der menſchlichen Geſelligkeit ſind, ſonder Sprechen, in
der That
Verſchwunden und ein leeres Nichts. Der Seelen Frucht,
die nicht zu ſehen,
Die geiſtigen Gedancken, wuͤrden, ſammt ihren Lettern,
den Jdeen
Jn der Gebuhrt ſchon wieder ſterben, und, eh ſie wuͤrden,
ſchon vergehen:
Ja blieben, ſonder Sprach’ und Worte, die wir von
GOtt empfangen haben,
Als wie ein Kind im Mutter-Leib’, im ſchlipfrichen Ge-
hirn, begraben.
Einfolglich wuͤrde, ſonder Red’, es uns und aller Men-
ſchen Seelen,
An ihrem auserleſenſten Talent, Geſchicklichkeit und Kraft,
An ihrer allerbeſten Wirckung, und ſie ihr gleichſam ſelber,
fehlen.
Da ſie, wenn man es wohl erwegt, ſo daß ſie ſelbſt es
kaum empfindet,
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