Es scheint so gar der Wind anjetzt sich zu bemühn, Und, zu dem Endzweck blos, die Blätter zu bewegen, Um, durch derselben öfters regen, Den Blick nun desto mehr auf sie zu ziehn. Man siehet, sieht man recht, der Farben bunte Klarheit, Jn einer Harmonie, so angenehm sich mischen; Man höret, hört man recht, in ihrem sanften Zischen Und lispelndem Gethös' und Wispern, diese Wahrheit: "Jhr sehet uns vielleicht zum letzten mahl, "Beseht uns heute noch, denn da wir schon gereift, "Sind Morgen schon vielleicht der Bäume Wipfel kahl, "Und wir vermuthlich abgestreift. "Noch könnt ihr euren Blick an uns vergnügen, "Noch könnt ihr dessen Ehr', "Der euch und uns gemacht, zu eurer Freude fügen, "Und opfern eure Lust dem Wesen mehr und mehr, "Das euch zu gut, indem wir sterben, "Uns ehe noch, als wir verderben, "Zu eurer Lust so schön, so lieblich wollen färben.
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Herbſt-Blaͤtter.
Es ſcheint ſo gar der Wind anjetzt ſich zu bemuͤhn, Und, zu dem Endzweck blos, die Blaͤtter zu bewegen, Um, durch derſelben oͤfters regen, Den Blick nun deſto mehr auf ſie zu ziehn. Man ſiehet, ſieht man recht, der Farben bunte Klarheit, Jn einer Harmonie, ſo angenehm ſich miſchen; Man hoͤret, hoͤrt man recht, in ihrem ſanften Ziſchen Und liſpelndem Gethoͤſ’ und Wiſpern, dieſe Wahrheit: „Jhr ſehet uns vielleicht zum letzten mahl, „Beſeht uns heute noch, denn da wir ſchon gereift, „Sind Morgen ſchon vielleicht der Baͤume Wipfel kahl, „Und wir vermuthlich abgeſtreift. „Noch koͤnnt ihr euren Blick an uns vergnuͤgen, „Noch koͤnnt ihr deſſen Ehr’, „Der euch und uns gemacht, zu eurer Freude fuͤgen, „Und opfern eure Luſt dem Weſen mehr und mehr, „Das euch zu gut, indem wir ſterben, „Uns ehe noch, als wir verderben, „Zu eurer Luſt ſo ſchoͤn, ſo lieblich wollen faͤrben.
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Herbſt-Blaͤtter.
Es ſcheint ſo gar der Wind anjetzt ſich zu bemuͤhn,
Und, zu dem Endzweck blos, die Blaͤtter zu bewegen,
Um, durch derſelben oͤfters regen,
Den Blick nun deſto mehr auf ſie zu ziehn.
Man ſiehet, ſieht man recht, der Farben bunte Klarheit,
Jn einer Harmonie, ſo angenehm ſich miſchen;
Man hoͤret, hoͤrt man recht, in ihrem ſanften Ziſchen
Und liſpelndem Gethoͤſ’ und Wiſpern, dieſe Wahrheit:
„Jhr ſehet uns vielleicht zum letzten mahl,
„Beſeht uns heute noch, denn da wir ſchon gereift,
„Sind Morgen ſchon vielleicht der Baͤume Wipfel kahl,
„Und wir vermuthlich abgeſtreift.
„Noch koͤnnt ihr euren Blick an uns vergnuͤgen,
„Noch koͤnnt ihr deſſen Ehr’,
„Der euch und uns gemacht, zu eurer Freude fuͤgen,
„Und opfern eure Luſt dem Weſen mehr und mehr,
„Das euch zu gut, indem wir ſterben,
„Uns ehe noch, als wir verderben,
„Zu eurer Luſt ſo ſchoͤn, ſo lieblich wollen faͤrben.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/329>, abgerufen am 16.02.2025.
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