Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.Nützliche Ungewißheit. Nützliche Ungewißheit. Nebst andern war ich jüngst, der alten Weisen Lehren, Wie sie des weisen Müllers Geist, Den man mit Recht die Zierde Hamburgs heist, Durch seine Lehrlinge ließ öffentlich erklären, Beschäftiget gewesen anzuhören. Wie ich mich nun darauf allein befand; Was ich von ihm gehört, bedächtlich überlegte, Und in gelassner Still' erwegte Die Mannigfaltigkeit der Grillen, Die stets den menschlichen Verstand Vor dem erfüllt, und noch erfüllen; Befiel mich eine Traurigkeit, Und drengte die verworrenen Gedancken, Mit einer schwartzen Last, aus ihren Schrancken; Jch fühlt' ein wahres Hertzeleid. Das gantze menschliche Geschlecht Kam mir bejammerns-wehrt, und recht Erbarmung-würdig für. Wir scheinen nichtes recht zu fassen, Wir scheinen all dem Jrrthum überlassen, Der uns beständig äfft, Da, von den Meynungen, die gantz verschiedlich scheinen, Von welchen von der weisen Schar, Die Hälfte, daß sie wahr und klar; Die andre, daß sie falsch und dunckel wären; meynen, Oft all', und dennoch keine wahr. Mir fiel hierüber ein: Es täuscht auch mich vielleicht ein falscher Schein. Jch kann ein Ding unmöglich wahrer halten, Als jeder von den Alten Das-
Nuͤtzliche Ungewißheit. Nuͤtzliche Ungewißheit. Nebſt andern war ich juͤngſt, der alten Weiſen Lehren, Wie ſie des weiſen Muͤllers Geiſt, Den man mit Recht die Zierde Hamburgs heiſt, Durch ſeine Lehrlinge ließ oͤffentlich erklaͤren, Beſchaͤftiget geweſen anzuhoͤren. Wie ich mich nun darauf allein befand; Was ich von ihm gehoͤrt, bedaͤchtlich uͤberlegte, Und in gelaſſner Still’ erwegte Die Mannigfaltigkeit der Grillen, Die ſtets den menſchlichen Verſtand Vor dem erfuͤllt, und noch erfuͤllen; Befiel mich eine Traurigkeit, Und drengte die verworrenen Gedancken, Mit einer ſchwartzen Laſt, aus ihren Schrancken; Jch fuͤhlt’ ein wahres Hertzeleid. Das gantze menſchliche Geſchlecht Kam mir bejammerns-wehrt, und recht Erbarmung-wuͤrdig fuͤr. Wir ſcheinen nichtes recht zu faſſen, Wir ſcheinen all dem Jrrthum uͤberlaſſen, Der uns beſtaͤndig aͤfft, Da, von den Meynungen, die gantz verſchiedlich ſcheinen, Von welchen von der weiſen Schar, Die Haͤlfte, daß ſie wahr und klar; Die andre, daß ſie falſch und dunckel waͤren; meynen, Oft all’, und dennoch keine wahr. Mir fiel hieruͤber ein: Es taͤuſcht auch mich vielleicht ein falſcher Schein. Jch kann ein Ding unmoͤglich wahrer halten, Als jeder von den Alten Das-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0314" n="298"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Nuͤtzliche Ungewißheit.</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Nuͤtzliche Ungewißheit.</hi> </head><lb/> <lg n="4"> <l><hi rendition="#in">N</hi>ebſt andern war ich juͤngſt, der alten Weiſen Lehren,</l><lb/> <l>Wie ſie des weiſen <hi rendition="#fr">Muͤllers</hi> Geiſt,</l><lb/> <l>Den man mit Recht die Zierde Hamburgs heiſt,</l><lb/> <l>Durch ſeine Lehrlinge ließ oͤffentlich erklaͤren,</l><lb/> <l>Beſchaͤftiget geweſen anzuhoͤren.</l><lb/> <l>Wie ich mich nun darauf allein befand;</l><lb/> <l>Was ich von ihm gehoͤrt, bedaͤchtlich uͤberlegte,</l><lb/> <l>Und in gelaſſner Still’ erwegte</l><lb/> <l>Die Mannigfaltigkeit der Grillen,</l><lb/> <l>Die ſtets den menſchlichen Verſtand</l><lb/> <l>Vor dem erfuͤllt, und noch erfuͤllen;</l><lb/> <l>Befiel mich eine Traurigkeit,</l><lb/> <l>Und drengte die verworrenen Gedancken,</l><lb/> <l>Mit einer ſchwartzen Laſt, aus ihren Schrancken;</l><lb/> <l>Jch fuͤhlt’ ein wahres Hertzeleid.</l><lb/> <l>Das gantze menſchliche Geſchlecht</l><lb/> <l>Kam mir bejammerns-wehrt, und recht</l><lb/> <l>Erbarmung-wuͤrdig fuͤr.</l><lb/> <l>Wir ſcheinen nichtes recht zu faſſen,</l><lb/> <l>Wir ſcheinen all dem Jrrthum uͤberlaſſen,</l><lb/> <l>Der uns beſtaͤndig aͤfft,</l><lb/> <l>Da, von den Meynungen, die gantz verſchiedlich ſcheinen,</l><lb/> <l>Von welchen von der weiſen Schar,</l><lb/> <l>Die Haͤlfte, daß ſie wahr und klar;</l><lb/> <l>Die andre, daß ſie falſch und dunckel waͤren; meynen,</l><lb/> <l>Oft all’, und dennoch keine wahr.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Mir fiel hieruͤber ein:</l><lb/> <l>Es taͤuſcht auch mich vielleicht ein falſcher Schein.</l><lb/> <l>Jch kann ein Ding unmoͤglich wahrer halten,</l><lb/> <l>Als jeder von den Alten</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Das-</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [298/0314]
Nuͤtzliche Ungewißheit.
Nuͤtzliche Ungewißheit.
Nebſt andern war ich juͤngſt, der alten Weiſen Lehren,
Wie ſie des weiſen Muͤllers Geiſt,
Den man mit Recht die Zierde Hamburgs heiſt,
Durch ſeine Lehrlinge ließ oͤffentlich erklaͤren,
Beſchaͤftiget geweſen anzuhoͤren.
Wie ich mich nun darauf allein befand;
Was ich von ihm gehoͤrt, bedaͤchtlich uͤberlegte,
Und in gelaſſner Still’ erwegte
Die Mannigfaltigkeit der Grillen,
Die ſtets den menſchlichen Verſtand
Vor dem erfuͤllt, und noch erfuͤllen;
Befiel mich eine Traurigkeit,
Und drengte die verworrenen Gedancken,
Mit einer ſchwartzen Laſt, aus ihren Schrancken;
Jch fuͤhlt’ ein wahres Hertzeleid.
Das gantze menſchliche Geſchlecht
Kam mir bejammerns-wehrt, und recht
Erbarmung-wuͤrdig fuͤr.
Wir ſcheinen nichtes recht zu faſſen,
Wir ſcheinen all dem Jrrthum uͤberlaſſen,
Der uns beſtaͤndig aͤfft,
Da, von den Meynungen, die gantz verſchiedlich ſcheinen,
Von welchen von der weiſen Schar,
Die Haͤlfte, daß ſie wahr und klar;
Die andre, daß ſie falſch und dunckel waͤren; meynen,
Oft all’, und dennoch keine wahr.
Mir fiel hieruͤber ein:
Es taͤuſcht auch mich vielleicht ein falſcher Schein.
Jch kann ein Ding unmoͤglich wahrer halten,
Als jeder von den Alten
Das-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |