Was kann es eigentlich doch für Vergnügen geben, Daß ich mich in die Zahl derjenigen, so leben, Auf dieser Welt gesetzet sehe? Daß etwann Speiß und Tranck durch meine Gurgel gehe? Daß ich den morschen Leib, der doch so schwächlich, Der, wenn man ihn nicht stets erfüllet, so gebrechlich, Beständig pfropf' und stopf' und fast nur leb' allein, Ein Kranckenwärter hier zu seyn? Wofern man seinen Geist nicht nach dem Schöpfer lencket, Und seine weise Lieb'- und wunderbahre Führung, Die Wunder seiner Macht und herrlichen Regierung, Jn Ehrfurcht voller Lust, bewundernd überdencket, Und inniglich gerührt, ihn innig liebt und ehrt; So ist das Leben hier auf Erden Nicht einst ein Gut genannt zu werden, Nicht, daß man es begehre, wehrt.
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Täg-
Seneca.
Was kann es eigentlich doch fuͤr Vergnuͤgen geben, Daß ich mich in die Zahl derjenigen, ſo leben, Auf dieſer Welt geſetzet ſehe? Daß etwann Speiß und Tranck durch meine Gurgel gehe? Daß ich den morſchen Leib, der doch ſo ſchwaͤchlich, Der, wenn man ihn nicht ſtets erfuͤllet, ſo gebrechlich, Beſtaͤndig pfropf’ und ſtopf’ und faſt nur leb’ allein, Ein Kranckenwaͤrter hier zu ſeyn? Wofern man ſeinen Geiſt nicht nach dem Schoͤpfer lencket, Und ſeine weiſe Lieb’- und wunderbahre Fuͤhrung, Die Wunder ſeiner Macht und herrlichen Regierung, Jn Ehrfurcht voller Luſt, bewundernd uͤberdencket, Und inniglich geruͤhrt, ihn innig liebt und ehrt; So iſt das Leben hier auf Erden Nicht einſt ein Gut genannt zu werden, Nicht, daß man es begehre, wehrt.
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Taͤg-
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Seneca.
Was kann es eigentlich doch fuͤr Vergnuͤgen geben,
Daß ich mich in die Zahl derjenigen, ſo leben,
Auf dieſer Welt geſetzet ſehe?
Daß etwann Speiß und Tranck durch meine Gurgel gehe?
Daß ich den morſchen Leib, der doch ſo ſchwaͤchlich,
Der, wenn man ihn nicht ſtets erfuͤllet, ſo gebrechlich,
Beſtaͤndig pfropf’ und ſtopf’ und faſt nur leb’ allein,
Ein Kranckenwaͤrter hier zu ſeyn?
Wofern man ſeinen Geiſt nicht nach dem Schoͤpfer lencket,
Und ſeine weiſe Lieb’- und wunderbahre Fuͤhrung,
Die Wunder ſeiner Macht und herrlichen Regierung,
Jn Ehrfurcht voller Luſt, bewundernd uͤberdencket,
Und inniglich geruͤhrt, ihn innig liebt und ehrt;
So iſt das Leben hier auf Erden
Nicht einſt ein Gut genannt zu werden,
Nicht, daß man es begehre, wehrt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/264>, abgerufen am 26.11.2024.
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