"Denn es machet nichts so sehr, als der Gegen-Satz, uns klar, "Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan- delbar. "Jn der Aendrung der Geschöpfe, im Vergehn der Crea- turen, "Sieht man von des Schöpffers Grösse, fast die allerhell- sten Spuren. "Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menschen Nichts erkennen; "Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens sehn, "Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß stets deutlicher verstehn, "Daß Du uns, aus Lieb', in Dir, wirst ein ewig dauren gönnen!
Der nimmer stille Fluß der Dinge, die zerstörlich, Entladet sich von sich, versenckt sich unaufhörlich Jn die Verwesungs-See, in das Zertrennungs-Meer, Und bleibt doch stets erfüllt, und ist doch nimmer leer. Von neuen Tropffen wird, in stetigem Gedränge, Der ietzt an diesem Ort verhandnen Tropffen Menge Jm Meer stets weggedrückt: so kommt und so vergehet, Erzeugt sich, lös't sich auf, entwickelt sich, entstehet, Was die Natur hervor bringt und formirt, Auch was sich wiederüm, durch sie zertheilt, verliert.
Die unbeständige Beständigkeit auf Erden Kann wol mit allem Recht uns vorgestellet werden Als eine Kette, die durch Ringe Fest an einander hinge;
Doch
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bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc.
„Denn es machet nichts ſo ſehr, als der Gegen-Satz, uns klar, „Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan- delbar. „Jn der Aendrung der Geſchoͤpfe, im Vergehn der Crea- turen, „Sieht man von des Schoͤpffers Groͤſſe, faſt die allerhell- ſten Spuren. „Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menſchen Nichts erkennen; „Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens ſehn, „Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß ſtets deutlicher verſtehn, „Daß Du uns, aus Lieb’, in Dir, wirſt ein ewig dauren goͤnnen!
Der nimmer ſtille Fluß der Dinge, die zerſtoͤrlich, Entladet ſich von ſich, verſenckt ſich unaufhoͤrlich Jn die Verweſungs-See, in das Zertrennungs-Meer, Und bleibt doch ſtets erfuͤllt, und iſt doch nimmer leer. Von neuen Tropffen wird, in ſtetigem Gedraͤnge, Der ietzt an dieſem Ort verhandnen Tropffen Menge Jm Meer ſtets weggedruͤckt: ſo kommt und ſo vergehet, Erzeugt ſich, loͤſ’t ſich auf, entwickelt ſich, entſtehet, Was die Natur hervor bringt und formirt, Auch was ſich wiederuͤm, durch ſie zertheilt, verliert.
Die unbeſtaͤndige Beſtaͤndigkeit auf Erden Kann wol mit allem Recht uns vorgeſtellet werden Als eine Kette, die durch Ringe Feſt an einander hinge;
Doch
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bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc.
„Denn es machet nichts ſo ſehr, als der Gegen-Satz, uns
klar,
„Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan-
delbar.
„Jn der Aendrung der Geſchoͤpfe, im Vergehn der Crea-
turen,
„Sieht man von des Schoͤpffers Groͤſſe, faſt die allerhell-
ſten Spuren.
„Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menſchen Nichts
erkennen;
„Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens
ſehn,
„Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß ſtets deutlicher
verſtehn,
„Daß Du uns, aus Lieb’, in Dir, wirſt ein ewig dauren
goͤnnen!
Der nimmer ſtille Fluß der Dinge, die zerſtoͤrlich,
Entladet ſich von ſich, verſenckt ſich unaufhoͤrlich
Jn die Verweſungs-See, in das Zertrennungs-Meer,
Und bleibt doch ſtets erfuͤllt, und iſt doch nimmer leer.
Von neuen Tropffen wird, in ſtetigem Gedraͤnge,
Der ietzt an dieſem Ort verhandnen Tropffen Menge
Jm Meer ſtets weggedruͤckt: ſo kommt und ſo vergehet,
Erzeugt ſich, loͤſ’t ſich auf, entwickelt ſich, entſtehet,
Was die Natur hervor bringt und formirt,
Auch was ſich wiederuͤm, durch ſie zertheilt, verliert.
Die unbeſtaͤndige Beſtaͤndigkeit auf Erden
Kann wol mit allem Recht uns vorgeſtellet werden
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/471>, abgerufen am 23.07.2024.
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