Jch habe jüngst ein Eichen-Blat gefunden, Das, durch der kleinen Würmer Schaar, So künstlich ausgefressen war; Daß alle Aederchen darin in netter Ordnung stunden.
Unzehlig war der zarten Gänge Verändrung, Unterschied und Menge. Es kam dieß Blat mir recht natürlich vor, Als wie der allerzärtste Flor. Man kunte nun, wie sie so zierlich, zart und schön, Bewunderns-wehrt geordnet, stehn, Erst, durch der Würmer Hülffe, sehn: So daß, da uns so schön-sonst ungesehne Sachen Die kleinen Würmer sichtbar machen; Die kleinen Würmer selbst, zu unsers Schöpfers Ehren, Für unser solche Kunst betrachtendes Gesicht, Die Zahlen Seiner Wunder mehren.
So schweige denn, gerührte Seele, nicht! Bewundre, freue dich, besinge Die weise Macht des Schöpfers aller Dinge, Der künstlich wirckenden Natur, Die alle Kunst weit übersteiget, So dem geschicktesten Zergliedrer in der Welt, Trotz aller Kunst, zu zeigen möglich fällt; Durch kleiner Würmer Zähne, zeiget.
Das
Kuͤnſtliche Structur der Blaͤtter.
Kuͤnſtliche Structur der Blaͤtter.
Jch habe juͤngſt ein Eichen-Blat gefunden, Das, durch der kleinen Wuͤrmer Schaar, So kuͤnſtlich ausgefreſſen war; Daß alle Aederchen darin in netter Ordnung ſtunden.
Unzehlig war der zarten Gaͤnge Veraͤndrung, Unterſchied und Menge. Es kam dieß Blat mir recht natuͤrlich vor, Als wie der allerzaͤrtſte Flor. Man kunte nun, wie ſie ſo zierlich, zart und ſchoͤn, Bewunderns-wehrt geordnet, ſtehn, Erſt, durch der Wuͤrmer Huͤlffe, ſehn: So daß, da uns ſo ſchoͤn-ſonſt ungeſehne Sachen Die kleinen Wuͤrmer ſichtbar machen; Die kleinen Wuͤrmer ſelbſt, zu unſers Schoͤpfers Ehren, Fuͤr unſer ſolche Kunſt betrachtendes Geſicht, Die Zahlen Seiner Wunder mehren.
So ſchweige denn, geruͤhrte Seele, nicht! Bewundre, freue dich, beſinge Die weiſe Macht des Schoͤpfers aller Dinge, Der kuͤnſtlich wirckenden Natur, Die alle Kunſt weit uͤberſteiget, So dem geſchickteſten Zergliedrer in der Welt, Trotz aller Kunſt, zu zeigen moͤglich faͤllt; Durch kleiner Wuͤrmer Zaͤhne, zeiget.
Das
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Kuͤnſtliche Structur der Blaͤtter.
Kuͤnſtliche Structur der Blaͤtter.
Jch habe juͤngſt ein Eichen-Blat gefunden,
Das, durch der kleinen Wuͤrmer Schaar,
So kuͤnſtlich ausgefreſſen war;
Daß alle Aederchen darin in netter Ordnung ſtunden.
Unzehlig war der zarten Gaͤnge
Veraͤndrung, Unterſchied und Menge.
Es kam dieß Blat mir recht natuͤrlich vor,
Als wie der allerzaͤrtſte Flor.
Man kunte nun, wie ſie ſo zierlich, zart und ſchoͤn,
Bewunderns-wehrt geordnet, ſtehn,
Erſt, durch der Wuͤrmer Huͤlffe, ſehn:
So daß, da uns ſo ſchoͤn-ſonſt ungeſehne Sachen
Die kleinen Wuͤrmer ſichtbar machen;
Die kleinen Wuͤrmer ſelbſt, zu unſers Schoͤpfers Ehren,
Fuͤr unſer ſolche Kunſt betrachtendes Geſicht,
Die Zahlen Seiner Wunder mehren.
So ſchweige denn, geruͤhrte Seele, nicht!
Bewundre, freue dich, beſinge
Die weiſe Macht des Schoͤpfers aller Dinge,
Der kuͤnſtlich wirckenden Natur,
Die alle Kunſt weit uͤberſteiget,
So dem geſchickteſten Zergliedrer in der Welt,
Trotz aller Kunſt, zu zeigen moͤglich faͤllt;
Durch kleiner Wuͤrmer Zaͤhne, zeiget.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/452>, abgerufen am 22.02.2025.
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