Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Zum Herbst: Fabel. Zum Herbst: Fabel. Ein jüngst noch dick belaubter Baum Sah seines Wipfels Pracht erbleicht zu seinen Füssen, Und, wie des Bodens runder Raum, Den die so angenehm begrünten Schatten So offt geschützt, so offt bedecket hatten, Den lieben Kinderchen zum Kirch-Hof werden müssen. Es riß der kalt' und rauhe Nord Den dünnen Uberrest noch immer mit sich fort, Sie taumelten recht Schaaren-weis' herab, Und suncken in das finstre Grab. Er schien, in dunckler Farb', ihr sterben zu betrauren, Und, in der Kinder Fall, sich selber zu bedauren. Dieß heimliche Geseuftz, dieß still' und bange klagen Vermogten einige der Blätter, die noch grün, Und deren frische Farb' fast unverwelcklich schien, Nicht zu vertragen. Sie sprachen: Traure nicht! wir wollen bey dir blei- ben, Uns wird kein Wind, kein Frost vertreiben. Sieh nur, wie grün wir noch, wie frisch; wir fühlen nicht, Daß uns, an Krafft, an Schönheit, was gebricht. Allein, fast in derselbigen Secunde, Erstarrt ihr kühnes Wort in ihrem kleinen Munde. Ein Z 5
Zum Herbſt: Fabel. Zum Herbſt: Fabel. Ein juͤngſt noch dick belaubter Baum Sah ſeines Wipfels Pracht erbleicht zu ſeinen Fuͤſſen, Und, wie des Bodens runder Raum, Den die ſo angenehm begruͤnten Schatten So offt geſchuͤtzt, ſo offt bedecket hatten, Den lieben Kinderchen zum Kirch-Hof werden muͤſſen. Es riß der kalt’ und rauhe Nord Den duͤnnen Uberreſt noch immer mit ſich fort, Sie taumelten recht Schaaren-weiſ’ herab, Und ſuncken in das finſtre Grab. Er ſchien, in dunckler Farb’, ihr ſterben zu betrauren, Und, in der Kinder Fall, ſich ſelber zu bedauren. Dieß heimliche Geſeuftz, dieß ſtill’ und bange klagen Vermogten einige der Blaͤtter, die noch gruͤn, Und deren friſche Farb’ faſt unverwelcklich ſchien, Nicht zu vertragen. Sie ſprachen: Traure nicht! wir wollen bey dir blei- ben, Uns wird kein Wind, kein Froſt vertreiben. Sieh nur, wie gruͤn wir noch, wie friſch; wir fuͤhlen nicht, Daß uns, an Krafft, an Schoͤnheit, was gebricht. Allein, faſt in derſelbigen Secunde, Erſtarrt ihr kuͤhnes Wort in ihrem kleinen Munde. Ein Z 5
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Zum Herbſt: Fabel.
Zum Herbſt:
Fabel.
Ein juͤngſt noch dick belaubter Baum
Sah ſeines Wipfels Pracht erbleicht zu ſeinen Fuͤſſen,
Und, wie des Bodens runder Raum,
Den die ſo angenehm begruͤnten Schatten
So offt geſchuͤtzt, ſo offt bedecket hatten,
Den lieben Kinderchen zum Kirch-Hof werden muͤſſen.
Es riß der kalt’ und rauhe Nord
Den duͤnnen Uberreſt noch immer mit ſich fort,
Sie taumelten recht Schaaren-weiſ’ herab,
Und ſuncken in das finſtre Grab.
Er ſchien, in dunckler Farb’, ihr ſterben zu betrauren,
Und, in der Kinder Fall, ſich ſelber zu bedauren.
Dieß heimliche Geſeuftz, dieß ſtill’ und bange klagen
Vermogten einige der Blaͤtter, die noch gruͤn,
Und deren friſche Farb’ faſt unverwelcklich ſchien,
Nicht zu vertragen.
Sie ſprachen: Traure nicht! wir wollen bey dir blei-
ben,
Uns wird kein Wind, kein Froſt vertreiben.
Sieh nur, wie gruͤn wir noch, wie friſch; wir fuͤhlen nicht,
Daß uns, an Krafft, an Schoͤnheit, was gebricht.
Allein, faſt in derſelbigen Secunde,
Erſtarrt ihr kuͤhnes Wort in ihrem kleinen Munde.
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