Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Der Tag, der gestern vergangen. Der Tag, der gestern vergangen. Gestern ist nicht heute mehr: es ist weg, es ist dahin. Es verspührt, empfindet, fühlet, sieht und höret unser Sinn Nichts von seiner Gegenwart. Gestern ist wie ein Ge- schrey, Das im Augenblick verschwindet, auch verschwunden und vorbey. Alles gestrige Vergnügen, Lachen, Fröhlichkeit und Schertz Jst nunmehr ein leeres Nichts. Aber auch ein bittrer Schmertz, Der uns gestern drückt' und fraß, der uns Marck und Bein durchwühlet, Hat mit gestern aufgehört, und wird heute nicht gefühlet. Eines Reichen fröhlichs Gestern ist mit allem seinen pran- gen, Und des Armen elend Gestern auch mit aller Noth vergan- gen. Beides bringt besondern Trost. Denn die kurtze Daur der Freuden Tröstet alle, die nicht glücklich: Und, die Pein und Schmer- tzen leiden, Werden ungemein gestärckt, wenn sie dieses überlegen, Und die unleugbare Wahrheit dieser Lehre wol erwegen: Jndem du gestern keine Plagen Mehr fühlen kannst, noch darfst ertragen; So mindre Kummer und Verdruß, Und kräncke dich nicht mehr so sehr auf Erden. Es wird, mit ungehemmten Fluß, Ein iedes Heute, Gestern werden. Das Y
Der Tag, der geſtern vergangen. Der Tag, der geſtern vergangen. Geſtern iſt nicht heute mehr: es iſt weg, es iſt dahin. Es verſpuͤhrt, empfindet, fuͤhlet, ſieht und hoͤret unſer Sinn Nichts von ſeiner Gegenwart. Geſtern iſt wie ein Ge- ſchrey, Das im Augenblick verſchwindet, auch verſchwunden und vorbey. Alles geſtrige Vergnuͤgen, Lachen, Froͤhlichkeit und Schertz Jſt nunmehr ein leeres Nichts. Aber auch ein bittrer Schmertz, Der uns geſtern druͤckt’ und fraß, der uns Marck und Bein durchwuͤhlet, Hat mit geſtern aufgehoͤrt, und wird heute nicht gefuͤhlet. Eines Reichen froͤhlichs Geſtern iſt mit allem ſeinen pran- gen, Und des Armen elend Geſtern auch mit aller Noth vergan- gen. Beides bringt beſondern Troſt. Denn die kurtze Daur der Freuden Troͤſtet alle, die nicht gluͤcklich: Und, die Pein und Schmer- tzen leiden, Werden ungemein geſtaͤrckt, wenn ſie dieſes uͤberlegen, Und die unleugbare Wahrheit dieſer Lehre wol erwegen: Jndem du geſtern keine Plagen Mehr fuͤhlen kannſt, noch darfſt ertragen; So mindre Kummer und Verdruß, Und kraͤncke dich nicht mehr ſo ſehr auf Erden. Es wird, mit ungehemmten Fluß, Ein iedes Heute, Geſtern werden. Das Y
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Der Tag, der geſtern vergangen.
Der Tag, der geſtern vergangen.
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Es verſpuͤhrt, empfindet, fuͤhlet, ſieht und hoͤret unſer
Sinn
Nichts von ſeiner Gegenwart. Geſtern iſt wie ein Ge-
ſchrey,
Das im Augenblick verſchwindet, auch verſchwunden und
vorbey.
Alles geſtrige Vergnuͤgen, Lachen, Froͤhlichkeit und Schertz
Jſt nunmehr ein leeres Nichts. Aber auch ein bittrer
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Der uns geſtern druͤckt’ und fraß, der uns Marck und Bein
durchwuͤhlet,
Hat mit geſtern aufgehoͤrt, und wird heute nicht gefuͤhlet.
Eines Reichen froͤhlichs Geſtern iſt mit allem ſeinen pran-
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Und des Armen elend Geſtern auch mit aller Noth vergan-
gen.
Beides bringt beſondern Troſt. Denn die kurtze Daur der
Freuden
Troͤſtet alle, die nicht gluͤcklich: Und, die Pein und Schmer-
tzen leiden,
Werden ungemein geſtaͤrckt, wenn ſie dieſes uͤberlegen,
Und die unleugbare Wahrheit dieſer Lehre wol erwegen:
Jndem du geſtern keine Plagen
Mehr fuͤhlen kannſt, noch darfſt ertragen;
So mindre Kummer und Verdruß,
Und kraͤncke dich nicht mehr ſo ſehr auf Erden.
Es wird, mit ungehemmten Fluß,
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Zitationshilfe: | Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/369>, abgerufen am 16.02.2025. |