Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Der Frosch. Der Zwang allein ist der Ratur so sehr(Wenn durch Gewohnheit wir ihn nicht was minder fühl- ten) Entgegen und zuwieder; Daß sonder Zweifel sich ein ieder, Müst er sich nicht befürchten oder schämen, Das meinige mir weg zu nehmen, Sich ohne Zweiffel leicht bequemen, Und schnell entschliessen würd'. Es zeigt sich dieses klar: Weil eben auf den Raub der Ehre (Wie es iedoch wohl nöthig wäre) Kein' Art von Straff' absonderlich gesetzt, Und daß man, ohn Gefahr, Des Nächsten Leumuth raubt, und ihn dadurch verletzt; So seh man doch, wie wir zum tadlen, affterreden, Zum lästern, spotten, zum verdrehn, Die Menschen unter sich so fertig sehn. Es wird sich keiner leicht entblöden, Um ins geheim sein Jch hinauf zurücken, Des Nächsten Ruhm zu unterdrücken, Und bloß, daß man ihn möge klüger heissen, Des Nächsten Ehren-Bau herüm zu reissen. Pfuy! daß man, wieder alle Pflichten, Sich nicht entsieht, für sich, was man dem Nächsten stahl, Zu nehmen, und sein Ehren-Mahl Auf jenes Schand-Mahl aufzurichten! Wie nöthig hier in dieser Welt Die Nächsten-Lieb', und die Geselligkeit, Hat Moses im Gesetz uns nicht nur vorgestellt; Selbst Christus hat der Christenheit Nicht G 2
Der Froſch. Der Zwang allein iſt der Ratur ſo ſehr(Wenn durch Gewohnheit wir ihn nicht was minder fuͤhl- ten) Entgegen und zuwieder; Daß ſonder Zweifel ſich ein ieder, Muͤſt er ſich nicht befuͤrchten oder ſchaͤmen, Das meinige mir weg zu nehmen, Sich ohne Zweiffel leicht bequemen, Und ſchnell entſchlieſſen wuͤrd’. Es zeigt ſich dieſes klar: Weil eben auf den Raub der Ehre (Wie es iedoch wohl noͤthig waͤre) Kein’ Art von Straff’ abſonderlich geſetzt, Und daß man, ohn Gefahr, Des Naͤchſten Leumuth raubt, und ihn dadurch verletzt; So ſeh man doch, wie wir zum tadlen, affterreden, Zum laͤſtern, ſpotten, zum verdrehn, Die Menſchen unter ſich ſo fertig ſehn. Es wird ſich keiner leicht entbloͤden, Um ins geheim ſein Jch hinauf zuruͤcken, Des Naͤchſten Ruhm zu unterdruͤcken, Und bloß, daß man ihn moͤge kluͤger heiſſen, Des Naͤchſten Ehren-Bau heruͤm zu reiſſen. Pfuy! daß man, wieder alle Pflichten, Sich nicht entſieht, fuͤr ſich, was man dem Naͤchſten ſtahl, Zu nehmen, und ſein Ehren-Mahl Auf jenes Schand-Mahl aufzurichten! Wie noͤthig hier in dieſer Welt Die Naͤchſten-Lieb’, und die Geſelligkeit, Hat Moſes im Geſetz uns nicht nur vorgeſtellt; Selbſt Chriſtus hat der Chriſtenheit Nicht G 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="29"> <pb facs="#f0131" n="99"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Froſch.</hi> </fw><lb/> <l>Der Zwang allein iſt der Ratur ſo ſehr<lb/> (Wenn durch Gewohnheit wir ihn nicht was minder fuͤhl-<lb/><hi rendition="#et">ten)</hi></l><lb/> <l>Entgegen und zuwieder;</l><lb/> <l>Daß ſonder Zweifel ſich ein ieder,</l><lb/> <l>Muͤſt er ſich nicht befuͤrchten oder ſchaͤmen,</l><lb/> <l>Das meinige mir weg zu nehmen,</l><lb/> <l>Sich ohne Zweiffel leicht bequemen,</l><lb/> <l>Und ſchnell entſchlieſſen wuͤrd’. Es zeigt ſich dieſes klar:</l> </lg><lb/> <lg n="30"> <l>Weil eben auf den Raub der Ehre<lb/> (Wie es iedoch wohl noͤthig waͤre)</l><lb/> <l>Kein’ Art von Straff’ abſonderlich geſetzt,</l><lb/> <l>Und daß man, ohn Gefahr,</l><lb/> <l>Des Naͤchſten Leumuth raubt, und ihn dadurch verletzt;</l><lb/> <l>So ſeh man doch, wie wir zum tadlen, affterreden,</l><lb/> <l>Zum laͤſtern, ſpotten, zum verdrehn,</l><lb/> <l>Die Menſchen unter ſich ſo fertig ſehn.</l><lb/> <l>Es wird ſich keiner leicht entbloͤden,</l><lb/> <l>Um ins geheim ſein Jch hinauf zuruͤcken,</l><lb/> <l>Des Naͤchſten Ruhm zu unterdruͤcken,</l><lb/> <l>Und bloß, daß man ihn moͤge kluͤger heiſſen,</l><lb/> <l>Des Naͤchſten Ehren-Bau heruͤm zu reiſſen.</l><lb/> <l>Pfuy! daß man, wieder alle Pflichten,</l><lb/> <l>Sich nicht entſieht, fuͤr ſich, was man dem Naͤchſten ſtahl,</l><lb/> <l>Zu nehmen, und ſein Ehren-Mahl</l><lb/> <l>Auf jenes Schand-Mahl aufzurichten!</l> </lg><lb/> <lg n="31"> <l>Wie noͤthig hier in dieſer Welt</l><lb/> <l>Die Naͤchſten-Lieb’, und die Geſelligkeit,</l><lb/> <l>Hat Moſes im Geſetz uns nicht nur vorgeſtellt;</l><lb/> <l>Selbſt Chriſtus hat der Chriſtenheit</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">Nicht</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0131]
Der Froſch.
Der Zwang allein iſt der Ratur ſo ſehr
(Wenn durch Gewohnheit wir ihn nicht was minder fuͤhl-
ten)
Entgegen und zuwieder;
Daß ſonder Zweifel ſich ein ieder,
Muͤſt er ſich nicht befuͤrchten oder ſchaͤmen,
Das meinige mir weg zu nehmen,
Sich ohne Zweiffel leicht bequemen,
Und ſchnell entſchlieſſen wuͤrd’. Es zeigt ſich dieſes klar:
Weil eben auf den Raub der Ehre
(Wie es iedoch wohl noͤthig waͤre)
Kein’ Art von Straff’ abſonderlich geſetzt,
Und daß man, ohn Gefahr,
Des Naͤchſten Leumuth raubt, und ihn dadurch verletzt;
So ſeh man doch, wie wir zum tadlen, affterreden,
Zum laͤſtern, ſpotten, zum verdrehn,
Die Menſchen unter ſich ſo fertig ſehn.
Es wird ſich keiner leicht entbloͤden,
Um ins geheim ſein Jch hinauf zuruͤcken,
Des Naͤchſten Ruhm zu unterdruͤcken,
Und bloß, daß man ihn moͤge kluͤger heiſſen,
Des Naͤchſten Ehren-Bau heruͤm zu reiſſen.
Pfuy! daß man, wieder alle Pflichten,
Sich nicht entſieht, fuͤr ſich, was man dem Naͤchſten ſtahl,
Zu nehmen, und ſein Ehren-Mahl
Auf jenes Schand-Mahl aufzurichten!
Wie noͤthig hier in dieſer Welt
Die Naͤchſten-Lieb’, und die Geſelligkeit,
Hat Moſes im Geſetz uns nicht nur vorgeſtellt;
Selbſt Chriſtus hat der Chriſtenheit
Nicht
G 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/131 |
Zitationshilfe: | Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/131>, abgerufen am 16.02.2025. |