Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Die gelbe Rose. Die gelbe Rose. Es sahe die Natur von ihren Meister-Stücken Der schönsten eins, die Rose, selbst mit Lust, Doch auch zugleich mit trüben Blicken, Und Unvergnügen an. Jhr war nicht unbewust, Daß, ob sie gleich, die Menschen zu erquicken, Die rothe Rose selbst gewehlt, Und sich bemüht, sie prächtigst auszuschmücken; Sie dennoch ihres Zwecks verfehlt. Denn, sprach sie, iedermann Sieht Rosen, ja so wol, als andrer Bluhmen Pracht, Mit, sie nicht sehnden, Augen an. Sie zürnte dennoch nicht: vielmehr war sie bedacht, Aus Lieb und Zärtlichkeit, noch einmahl zu probiren, Ob es, den kalten Sinn der Menschen recht zu rühren, Denn gar nicht möglich sey. Sie fieng deswegen an auch weisse zu formiren, Nachher auch Wein- und Eßig-Rosen, Um, durch Veränderung dem Auge liebzukosen. Allein es war und blieb stets einerley. Zuletzt (da ihr nicht unbekannt, Daß die Begierde, reich zu werden, Der meisten Menschen Hertz auf Erden Mit solcher heissen Gold-Sucht füllt, Daß ihrer Seelen Licht, der denckende Verstand, Dadurch so sehr benebelt und verhüllt, Daß, da er, GOTT zum Ruhm, die Welt betrachten sollt', Er E 3
Die gelbe Roſe. Die gelbe Roſe. Es ſahe die Natur von ihren Meiſter-Stuͤcken Der ſchoͤnſten eins, die Roſe, ſelbſt mit Luſt, Doch auch zugleich mit truͤben Blicken, Und Unvergnuͤgen an. Jhr war nicht unbewuſt, Daß, ob ſie gleich, die Menſchen zu erquicken, Die rothe Roſe ſelbſt gewehlt, Und ſich bemuͤht, ſie praͤchtigſt auszuſchmuͤcken; Sie dennoch ihres Zwecks verfehlt. Denn, ſprach ſie, iedermann Sieht Roſen, ja ſo wol, als andrer Bluhmen Pracht, Mit, ſie nicht ſehnden, Augen an. Sie zuͤrnte dennoch nicht: vielmehr war ſie bedacht, Aus Lieb und Zaͤrtlichkeit, noch einmahl zu probiren, Ob es, den kalten Sinn der Menſchen recht zu ruͤhren, Denn gar nicht moͤglich ſey. Sie fieng deswegen an auch weiſſe zu formiren, Nachher auch Wein- und Eßig-Roſen, Um, durch Veraͤnderung dem Auge liebzukoſen. Allein es war und blieb ſtets einerley. Zuletzt (da ihr nicht unbekannt, Daß die Begierde, reich zu werden, Der meiſten Menſchen Hertz auf Erden Mit ſolcher heiſſen Gold-Sucht fuͤllt, Daß ihrer Seelen Licht, der denckende Verſtand, Dadurch ſo ſehr benebelt und verhuͤllt, Daß, da er, GOTT zum Ruhm, die Welt betrachten ſollt’, Er E 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0101" n="69"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die gelbe Roſe.</hi> </fw><lb/> <div n="2"> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Die gelbe Roſe.</hi> </head><lb/> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>s ſahe die Natur von ihren Meiſter-Stuͤcken</l><lb/> <l>Der ſchoͤnſten eins, die Roſe, ſelbſt mit Luſt,</l><lb/> <l>Doch auch zugleich mit truͤben Blicken,</l><lb/> <l>Und Unvergnuͤgen an. Jhr war nicht unbewuſt,</l><lb/> <l>Daß, ob ſie gleich, die Menſchen zu erquicken,</l><lb/> <l>Die rothe Roſe ſelbſt gewehlt,</l><lb/> <l>Und ſich bemuͤht, ſie praͤchtigſt auszuſchmuͤcken;</l><lb/> <l>Sie dennoch ihres Zwecks verfehlt.</l><lb/> <l>Denn, ſprach ſie, iedermann</l><lb/> <l>Sieht Roſen, ja ſo wol, als andrer Bluhmen Pracht,</l><lb/> <l>Mit, ſie nicht ſehnden, Augen an.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Sie zuͤrnte dennoch nicht: vielmehr war ſie bedacht,</l><lb/> <l>Aus Lieb und Zaͤrtlichkeit, noch einmahl zu probiren,</l><lb/> <l>Ob es, den kalten Sinn der Menſchen recht zu ruͤhren,</l><lb/> <l>Denn gar nicht moͤglich ſey.</l><lb/> <l>Sie fieng deswegen an auch weiſſe zu formiren,</l><lb/> <l>Nachher auch Wein- und Eßig-Roſen,</l><lb/> <l>Um, durch Veraͤnderung dem Auge liebzukoſen.</l><lb/> <l>Allein es war und blieb ſtets einerley.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Zuletzt (da ihr nicht unbekannt,</l><lb/> <l>Daß die Begierde, reich zu werden,</l><lb/> <l>Der meiſten Menſchen Hertz auf Erden</l><lb/> <l>Mit ſolcher heiſſen Gold-Sucht fuͤllt,</l><lb/> <l>Daß ihrer Seelen Licht, der denckende Verſtand,</l><lb/> <l>Dadurch ſo ſehr benebelt und verhuͤllt,</l><lb/> <l>Daß, da er, <hi rendition="#g">GOTT</hi> zum Ruhm, die Welt betrachten<lb/><hi rendition="#et">ſollt’,</hi></l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">Er</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0101]
Die gelbe Roſe.
Die gelbe Roſe.
Es ſahe die Natur von ihren Meiſter-Stuͤcken
Der ſchoͤnſten eins, die Roſe, ſelbſt mit Luſt,
Doch auch zugleich mit truͤben Blicken,
Und Unvergnuͤgen an. Jhr war nicht unbewuſt,
Daß, ob ſie gleich, die Menſchen zu erquicken,
Die rothe Roſe ſelbſt gewehlt,
Und ſich bemuͤht, ſie praͤchtigſt auszuſchmuͤcken;
Sie dennoch ihres Zwecks verfehlt.
Denn, ſprach ſie, iedermann
Sieht Roſen, ja ſo wol, als andrer Bluhmen Pracht,
Mit, ſie nicht ſehnden, Augen an.
Sie zuͤrnte dennoch nicht: vielmehr war ſie bedacht,
Aus Lieb und Zaͤrtlichkeit, noch einmahl zu probiren,
Ob es, den kalten Sinn der Menſchen recht zu ruͤhren,
Denn gar nicht moͤglich ſey.
Sie fieng deswegen an auch weiſſe zu formiren,
Nachher auch Wein- und Eßig-Roſen,
Um, durch Veraͤnderung dem Auge liebzukoſen.
Allein es war und blieb ſtets einerley.
Zuletzt (da ihr nicht unbekannt,
Daß die Begierde, reich zu werden,
Der meiſten Menſchen Hertz auf Erden
Mit ſolcher heiſſen Gold-Sucht fuͤllt,
Daß ihrer Seelen Licht, der denckende Verſtand,
Dadurch ſo ſehr benebelt und verhuͤllt,
Daß, da er, GOTT zum Ruhm, die Welt betrachten
ſollt’,
Er
E 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |