Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Den heissen Zahn, mit knirschendem Geräusch, Jn das schon angefasste Fleisch, Ergrimmt bereits zusammen drücken. Wenn wir offt schwartz-und aufgesperrte Klauen Verlarffter Schreck-Gespenster schauen, Die sie bereits zum Greiffen ausgestreckt, Und man von Schrecken starr, sodann, Um ihnen zu entfliehn, kein Glied nicht regen kann. Wer in so naher Noth von ohngefehr erweckt, Und schnell ermuntert wird, scheint von des Todes Schwelle, Ja gleichsam selbsten aus der Hölle, Entrissen und befreyt. Wenn nur dergleichen Traum vielleicht nach dieser Zeit, Verruchter Sünder Seelen schreckte, Bis an den jüngsten Tag, Vermeint ihr, daß darinn nicht eine Straffe steckte? Wie dürfft' es um dich stehen, Wann nicht, wie hier, durch unsre Sinnlichkeit, Die Bilder, die uns nicht gefallen, nicht vergehen? Wann nicht, wie hier auf dieser Welt, Da, was uns etwan nicht gefällt, Sich durch die Sinnlichkeit lässt aus dem Sinne schlagen; Und die erschrecklichsten Gedancken sich verjagen: Nein, unaufhörlich dir von deinem Leben Das scheußlichste für Augen dürffte schweben? Es scheinet selbst zur Straff ein solches Quälen, Recht eigentlich dem Wesen unsrer Seelen, Und ihrer Art gemäs, So lang sie sonder Leib, im Dencken auch zu leiden; Und dies ist schrecklich gnug. Jedoch,
Den heiſſen Zahn, mit knirſchendem Geraͤuſch, Jn das ſchon angefaſſte Fleiſch, Ergrimmt bereits zuſammen druͤcken. Wenn wir offt ſchwartz-und aufgeſperrte Klauen Verlarffter Schreck-Geſpenſter ſchauen, Die ſie bereits zum Greiffen ausgeſtreckt, Und man von Schrecken ſtarr, ſodann, Um ihnen zu entfliehn, kein Glied nicht regen kann. Wer in ſo naher Noth von ohngefehr erweckt, Und ſchnell ermuntert wird, ſcheint von des Todes Schwelle, Ja gleichſam ſelbſten aus der Hoͤlle, Entriſſen und befreyt. Wenn nur dergleichen Traum vielleicht nach dieſer Zeit, Verruchter Suͤnder Seelen ſchreckte, Bis an den juͤngſten Tag, Vermeint ihr, daß darinn nicht eine Straffe ſteckte? Wie duͤrfft’ es um dich ſtehen, Wann nicht, wie hier, durch unſre Sinnlichkeit, Die Bilder, die uns nicht gefallen, nicht vergehen? Wann nicht, wie hier auf dieſer Welt, Da, was uns etwan nicht gefaͤllt, Sich durch die Sinnlichkeit laͤſſt aus dem Sinne ſchlagen; Und die erſchrecklichſten Gedancken ſich verjagen: Nein, unaufhoͤrlich dir von deinem Leben Das ſcheußlichſte fuͤr Augen duͤrffte ſchweben? Es ſcheinet ſelbſt zur Straff ein ſolches Quaͤlen, Recht eigentlich dem Weſen unſrer Seelen, Und ihrer Art gemaͤs, So lang ſie ſonder Leib, im Dencken auch zu leiden; Und dies iſt ſchrecklich gnug. Jedoch,
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Den heiſſen Zahn, mit knirſchendem Geraͤuſch,
Jn das ſchon angefaſſte Fleiſch,
Ergrimmt bereits zuſammen druͤcken.
Wenn wir offt ſchwartz-und aufgeſperrte Klauen
Verlarffter Schreck-Geſpenſter ſchauen,
Die ſie bereits zum Greiffen ausgeſtreckt,
Und man von Schrecken ſtarr, ſodann,
Um ihnen zu entfliehn, kein Glied nicht regen kann.
Wer in ſo naher Noth von ohngefehr erweckt,
Und ſchnell ermuntert wird, ſcheint von des Todes Schwelle,
Ja gleichſam ſelbſten aus der Hoͤlle,
Entriſſen und befreyt.
Wenn nur dergleichen Traum vielleicht nach dieſer Zeit,
Verruchter Suͤnder Seelen ſchreckte,
Bis an den juͤngſten Tag,
Vermeint ihr, daß darinn nicht eine Straffe ſteckte?
Wie duͤrfft’ es um dich ſtehen,
Wann nicht, wie hier, durch unſre Sinnlichkeit,
Die Bilder, die uns nicht gefallen, nicht vergehen?
Wann nicht, wie hier auf dieſer Welt,
Da, was uns etwan nicht gefaͤllt,
Sich durch die Sinnlichkeit laͤſſt aus dem Sinne ſchlagen;
Und die erſchrecklichſten Gedancken ſich verjagen:
Nein, unaufhoͤrlich dir von deinem Leben
Das ſcheußlichſte fuͤr Augen duͤrffte ſchweben?
Es ſcheinet ſelbſt zur Straff ein ſolches Quaͤlen,
Recht eigentlich dem Weſen unſrer Seelen,
Und ihrer Art gemaͤs,
So lang ſie ſonder Leib, im Dencken auch zu leiden;
Und dies iſt ſchrecklich gnug.
Jedoch,
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