Wenn wir im Schlaf offt gute Reime Ohn alle Schwürigkeit erfinden: Wenn wir im Traum recht gute Lehren Von einem Fremden etwan hören, Wie geht dies zu? geschicht es ohne mich, Daß jemand in mir mit mir spricht? Bin ich derselbige, der mir wovon Bericht, Durch eines andern Mund, ertheilt, und innerlich, So daß es niemand sonst, als ich, verstehe, saget, Das, wornach ich kein eintzigmal gefraget? Da wir nun das, was in uns selbst geschicht, Nicht kennen und nicht fassen; Wie wird sich denn von uns doch die verborgne Spur, Der mächtigen Natur, Ergrüblen und begreiffen lassen?
Man überlege doch und dencke, Wie sonderbar, wie seltsam, wie verschiedlich, Wie unerwartet, fremd, wie sehr veränderlich, Wie närrisch bald, bald klug, wie eckelhafft, wie niedlich, Vergnüglich, thöricht, wild, gewaltig, groß und klein, Wie schreck-und lächerlich, wie ungeformt und zierlich, Wie albern, wie gescheut, wie ernsthafft, wie poßirlich, Die nicht zu bildende behende Träume seyn.
Es lässet uns, von ihrem leichten Wesen, St. Augustin ein artig Gleichniß lesen: Wie, wenn man einen Wurm, den, wegen vieler Füsse Man Tausend-füsser nennt, Jn kleine Stücke theilet; Es recht verwunderlich, wie alles läufft und eilet, Wie jedes Stückgen flieht, bald hier, bald dahin rennt,
Und
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Jſt, daß uns offt gar traͤumt, uns traͤume.
Wenn wir im Schlaf offt gute Reime Ohn alle Schwuͤrigkeit erfinden: Wenn wir im Traum recht gute Lehren Von einem Fremden etwan hoͤren, Wie geht dies zu? geſchicht es ohne mich, Daß jemand in mir mit mir ſpricht? Bin ich derſelbige, der mir wovon Bericht, Durch eines andern Mund, ertheilt, und innerlich, So daß es niemand ſonſt, als ich, verſtehe, ſaget, Das, wornach ich kein eintzigmal gefraget? Da wir nun das, was in uns ſelbſt geſchicht, Nicht kennen und nicht faſſen; Wie wird ſich denn von uns doch die verborgne Spur, Der maͤchtigen Natur, Ergruͤblen und begreiffen laſſen?
Man uͤberlege doch und dencke, Wie ſonderbar, wie ſeltſam, wie verſchiedlich, Wie unerwartet, fremd, wie ſehr veraͤnderlich, Wie naͤrriſch bald, bald klug, wie eckelhafft, wie niedlich, Vergnuͤglich, thoͤricht, wild, gewaltig, groß und klein, Wie ſchreck-und laͤcherlich, wie ungeformt und zierlich, Wie albern, wie geſcheut, wie ernſthafft, wie poßirlich, Die nicht zu bildende behende Traͤume ſeyn.
Es laͤſſet uns, von ihrem leichten Weſen, St. Auguſtin ein artig Gleichniß leſen: Wie, wenn man einen Wurm, den, wegen vieler Fuͤſſe Man Tauſend-fuͤſſer nennt, Jn kleine Stuͤcke theilet; Es recht verwunderlich, wie alles laͤufft und eilet, Wie jedes Stuͤckgen flieht, bald hier, bald dahin rennt,
Und
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Jſt, daß uns offt gar traͤumt, uns traͤume.
Wenn wir im Schlaf offt gute Reime
Ohn alle Schwuͤrigkeit erfinden:
Wenn wir im Traum recht gute Lehren
Von einem Fremden etwan hoͤren,
Wie geht dies zu? geſchicht es ohne mich,
Daß jemand in mir mit mir ſpricht?
Bin ich derſelbige, der mir wovon Bericht,
Durch eines andern Mund, ertheilt, und innerlich,
So daß es niemand ſonſt, als ich, verſtehe, ſaget,
Das, wornach ich kein eintzigmal gefraget?
Da wir nun das, was in uns ſelbſt geſchicht,
Nicht kennen und nicht faſſen;
Wie wird ſich denn von uns doch die verborgne Spur,
Der maͤchtigen Natur,
Ergruͤblen und begreiffen laſſen?
Man uͤberlege doch und dencke,
Wie ſonderbar, wie ſeltſam, wie verſchiedlich,
Wie unerwartet, fremd, wie ſehr veraͤnderlich,
Wie naͤrriſch bald, bald klug, wie eckelhafft, wie niedlich,
Vergnuͤglich, thoͤricht, wild, gewaltig, groß und klein,
Wie ſchreck-und laͤcherlich, wie ungeformt und zierlich,
Wie albern, wie geſcheut, wie ernſthafft, wie poßirlich,
Die nicht zu bildende behende Traͤume ſeyn.
Es laͤſſet uns, von ihrem leichten Weſen,
St. Auguſtin ein artig Gleichniß leſen:
Wie, wenn man einen Wurm, den, wegen vieler Fuͤſſe
Man Tauſend-fuͤſſer nennt,
Jn kleine Stuͤcke theilet;
Es recht verwunderlich, wie alles laͤufft und eilet,
Wie jedes Stuͤckgen flieht, bald hier, bald dahin rennt,
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/709>, abgerufen am 16.02.2025.
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