Ein ausbündig-schöner, in der Blühte stehender, Castanien-Baum.
Betrachte mich! schau' meine Pracht, Mein schönes Laub, den Stamm, die Zweige, meine Blühte, Bewundre mich mit frölichem Gemüthe, Und denck' in deiner Lust an Den, der mich gemacht!
So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thür Gepflantzt war, zu mir sprach: Die prächtige Gestalt, Des hohen Wipffels Breit' und Dicke, Stellt gleichsam einen gantzen Wald Jn Schatten reich- und grüner Dämm'rung für. Der Zweige Meng' und zierliches Geschicke, Die alle, wie ein halber Bogen, Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen, Von Blättern gantz umwölckt, formirten Jm schönsten Wipffel, eine Crone, So zierlich, daß auch kaum Der zierlichste Orange-Baum, Der in der Ründe zeigt, was Kunst und Scheere können, Sich weigert, ihm den Rang zu gönnen.
Die grüne Nacht, die in dem Baum regieret, Wird durch das schöne Laub erzeuget und formiret: Das Laub, dergleichen Laub man sonsten nirgends findet, Jst nah sowohl, als auch von weiten, schön An Grösse, Farb' und Bildung anzusehn. Fast einer halben Elle lang Jst manches Blat; derselben Rang Jst frembd und sehr verwunderlich: Von einer Seite spannt es sich,
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Ein ausbuͤndig-ſchoͤner, in der Bluͤhte ſtehender, Caſtanien-Baum.
Betrachte mich! ſchau’ meine Pracht, Mein ſchoͤnes Laub, den Stamm, die Zweige, meine Bluͤhte, Bewundre mich mit froͤlichem Gemuͤthe, Und denck’ in deiner Luſt an Den, der mich gemacht!
So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thuͤr Gepflantzt war, zu mir ſprach: Die praͤchtige Geſtalt, Des hohen Wipffels Breit’ und Dicke, Stellt gleichſam einen gantzen Wald Jn Schatten reich- und gruͤner Daͤmm’rung fuͤr. Der Zweige Meng’ und zierliches Geſchicke, Die alle, wie ein halber Bogen, Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen, Von Blaͤttern gantz umwoͤlckt, formirten Jm ſchoͤnſten Wipffel, eine Crone, So zierlich, daß auch kaum Der zierlichſte Orange-Baum, Der in der Ruͤnde zeigt, was Kunſt und Scheere koͤnnen, Sich weigert, ihm den Rang zu goͤnnen.
Die gruͤne Nacht, die in dem Baum regieret, Wird durch das ſchoͤne Laub erzeuget und formiret: Das Laub, dergleichen Laub man ſonſten nirgends findet, Jſt nah ſowohl, als auch von weiten, ſchoͤn An Groͤſſe, Farb’ und Bildung anzuſehn. Faſt einer halben Elle lang Jſt manches Blat; derſelben Rang Jſt frembd und ſehr verwunderlich: Von einer Seite ſpannt es ſich,
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[593/0623]
Ein ausbuͤndig-ſchoͤner, in der
Bluͤhte ſtehender, Caſtanien-Baum.
Betrachte mich! ſchau’ meine Pracht,
Mein ſchoͤnes Laub, den Stamm, die Zweige,
meine Bluͤhte,
Bewundre mich mit froͤlichem Gemuͤthe,
Und denck’ in deiner Luſt an Den, der mich gemacht!
So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thuͤr
Gepflantzt war, zu mir ſprach: Die praͤchtige Geſtalt,
Des hohen Wipffels Breit’ und Dicke,
Stellt gleichſam einen gantzen Wald
Jn Schatten reich- und gruͤner Daͤmm’rung fuͤr.
Der Zweige Meng’ und zierliches Geſchicke,
Die alle, wie ein halber Bogen,
Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen,
Von Blaͤttern gantz umwoͤlckt, formirten
Jm ſchoͤnſten Wipffel, eine Crone,
So zierlich, daß auch kaum
Der zierlichſte Orange-Baum,
Der in der Ruͤnde zeigt, was Kunſt und Scheere koͤnnen,
Sich weigert, ihm den Rang zu goͤnnen.
Die gruͤne Nacht, die in dem Baum regieret,
Wird durch das ſchoͤne Laub erzeuget und formiret:
Das Laub, dergleichen Laub man ſonſten nirgends findet,
Jſt nah ſowohl, als auch von weiten, ſchoͤn
An Groͤſſe, Farb’ und Bildung anzuſehn.
Faſt einer halben Elle lang
Jſt manches Blat; derſelben Rang
Jſt frembd und ſehr verwunderlich:
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/623>, abgerufen am 16.07.2024.
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