Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein ausbündig-schöner, in der
Blühte stehender, Castanien-Baum.
Betrachte mich! schau' meine Pracht,
Mein schönes Laub, den Stamm, die Zweige,
meine Blühte,
Bewundre mich mit frölichem Gemüthe,
Und denck' in deiner Lust an Den, der mich gemacht!
So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thür
Gepflantzt war, zu mir sprach: Die prächtige Gestalt,
Des hohen Wipffels Breit' und Dicke,
Stellt gleichsam einen gantzen Wald
Jn Schatten reich- und grüner Dämm'rung für.
Der Zweige Meng' und zierliches Geschicke,
Die alle, wie ein halber Bogen,
Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen,
Von Blättern gantz umwölckt, formirten
Jm schönsten Wipffel, eine Crone,
So zierlich, daß auch kaum
Der zierlichste Orange-Baum,
Der in der Ründe zeigt, was Kunst und Scheere können,
Sich weigert, ihm den Rang zu gönnen.
Die grüne Nacht, die in dem Baum regieret,
Wird durch das schöne Laub erzeuget und formiret:
Das Laub, dergleichen Laub man sonsten nirgends findet,
Jst nah sowohl, als auch von weiten, schön
An Grösse, Farb' und Bildung anzusehn.
Fast einer halben Elle lang
Jst manches Blat; derselben Rang
Jst frembd und sehr verwunderlich:
Von einer Seite spannt es sich,
Jn
P p
Ein ausbuͤndig-ſchoͤner, in der
Bluͤhte ſtehender, Caſtanien-Baum.
Betrachte mich! ſchau’ meine Pracht,
Mein ſchoͤnes Laub, den Stamm, die Zweige,
meine Bluͤhte,
Bewundre mich mit froͤlichem Gemuͤthe,
Und denck’ in deiner Luſt an Den, der mich gemacht!
So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thuͤr
Gepflantzt war, zu mir ſprach: Die praͤchtige Geſtalt,
Des hohen Wipffels Breit’ und Dicke,
Stellt gleichſam einen gantzen Wald
Jn Schatten reich- und gruͤner Daͤmm’rung fuͤr.
Der Zweige Meng’ und zierliches Geſchicke,
Die alle, wie ein halber Bogen,
Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen,
Von Blaͤttern gantz umwoͤlckt, formirten
Jm ſchoͤnſten Wipffel, eine Crone,
So zierlich, daß auch kaum
Der zierlichſte Orange-Baum,
Der in der Ruͤnde zeigt, was Kunſt und Scheere koͤnnen,
Sich weigert, ihm den Rang zu goͤnnen.
Die gruͤne Nacht, die in dem Baum regieret,
Wird durch das ſchoͤne Laub erzeuget und formiret:
Das Laub, dergleichen Laub man ſonſten nirgends findet,
Jſt nah ſowohl, als auch von weiten, ſchoͤn
An Groͤſſe, Farb’ und Bildung anzuſehn.
Faſt einer halben Elle lang
Jſt manches Blat; derſelben Rang
Jſt frembd und ſehr verwunderlich:
Von einer Seite ſpannt es ſich,
Jn
P p
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0623" n="593"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Ein ausbu&#x0364;ndig-&#x017F;cho&#x0364;ner, in der<lb/>
Blu&#x0364;hte &#x017F;tehender, Ca&#x017F;tanien-Baum.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">B</hi>etrachte mich! &#x017F;chau&#x2019; meine Pracht,</l><lb/>
            <l>Mein &#x017F;cho&#x0364;nes Laub, den Stamm, die Zweige,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">meine Blu&#x0364;hte,</hi> </l><lb/>
            <l>Bewundre mich mit fro&#x0364;lichem Gemu&#x0364;the,</l><lb/>
            <l>Und denck&#x2019; in deiner Lu&#x017F;t an Den, der mich gemacht!</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thu&#x0364;r</l><lb/>
            <l>Gepflantzt war, zu mir &#x017F;prach: Die pra&#x0364;chtige Ge&#x017F;talt,</l><lb/>
            <l>Des hohen Wipffels Breit&#x2019; und Dicke,</l><lb/>
            <l>Stellt gleich&#x017F;am einen gantzen Wald</l><lb/>
            <l>Jn Schatten reich- und gru&#x0364;ner Da&#x0364;mm&#x2019;rung fu&#x0364;r.</l><lb/>
            <l>Der Zweige Meng&#x2019; und zierliches Ge&#x017F;chicke,</l><lb/>
            <l>Die alle, wie ein halber Bogen,</l><lb/>
            <l>Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen,</l><lb/>
            <l>Von Bla&#x0364;ttern gantz umwo&#x0364;lckt, formirten</l><lb/>
            <l>Jm &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Wipffel, eine Crone,</l><lb/>
            <l>So zierlich, daß auch kaum</l><lb/>
            <l>Der zierlich&#x017F;te Orange-Baum,</l><lb/>
            <l>Der in der Ru&#x0364;nde zeigt, was Kun&#x017F;t und Scheere ko&#x0364;nnen,</l><lb/>
            <l>Sich weigert, ihm den Rang zu go&#x0364;nnen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Die gru&#x0364;ne Nacht, die in dem Baum regieret,</l><lb/>
            <l>Wird durch das &#x017F;cho&#x0364;ne Laub erzeuget und formiret:</l><lb/>
            <l>Das Laub, dergleichen Laub man &#x017F;on&#x017F;ten nirgends findet,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t nah &#x017F;owohl, als auch von weiten, &#x017F;cho&#x0364;n</l><lb/>
            <l>An Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Farb&#x2019; und Bildung anzu&#x017F;ehn.</l><lb/>
            <l>Fa&#x017F;t einer halben Elle lang</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t manches Blat; der&#x017F;elben Rang</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t frembd und &#x017F;ehr verwunderlich:</l><lb/>
            <l>Von einer Seite &#x017F;pannt es &#x017F;ich,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">P p</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[593/0623] Ein ausbuͤndig-ſchoͤner, in der Bluͤhte ſtehender, Caſtanien-Baum. Betrachte mich! ſchau’ meine Pracht, Mein ſchoͤnes Laub, den Stamm, die Zweige, meine Bluͤhte, Bewundre mich mit froͤlichem Gemuͤthe, Und denck’ in deiner Luſt an Den, der mich gemacht! So deucht mich, daß ein Baum, der recht vor meiner Thuͤr Gepflantzt war, zu mir ſprach: Die praͤchtige Geſtalt, Des hohen Wipffels Breit’ und Dicke, Stellt gleichſam einen gantzen Wald Jn Schatten reich- und gruͤner Daͤmm’rung fuͤr. Der Zweige Meng’ und zierliches Geſchicke, Die alle, wie ein halber Bogen, Sich von dem Stamm ab-aufwerts zogen, Von Blaͤttern gantz umwoͤlckt, formirten Jm ſchoͤnſten Wipffel, eine Crone, So zierlich, daß auch kaum Der zierlichſte Orange-Baum, Der in der Ruͤnde zeigt, was Kunſt und Scheere koͤnnen, Sich weigert, ihm den Rang zu goͤnnen. Die gruͤne Nacht, die in dem Baum regieret, Wird durch das ſchoͤne Laub erzeuget und formiret: Das Laub, dergleichen Laub man ſonſten nirgends findet, Jſt nah ſowohl, als auch von weiten, ſchoͤn An Groͤſſe, Farb’ und Bildung anzuſehn. Faſt einer halben Elle lang Jſt manches Blat; derſelben Rang Jſt frembd und ſehr verwunderlich: Von einer Seite ſpannt es ſich, Jn P p

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/623
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/623>, abgerufen am 25.11.2024.