Unendliches Gemisch unzählbarer Gestalten, Die allezeit verschwinden, Und allezeit sich wieder finden, Auf einmal in den Sitz der Sinnen dringen; Wenn ihre Regungen, die stet- und lebendig, Nicht von Natur uncörperlich? Wir öffnen nicht so bald die Augenlieder, So lässet alles gleich bis zu des Himmels Höhn, Jn einem Augenblick von uns sich sehn. Verschliessen wir dieselben wieder; So sieht man Himmel, Licht und Sternen, Jm Augenblick verschwindend, sich entfernen. Was vor Gemähld' und Züg' sind fähig sich zu ziehn Vom Firmament, und wieder zu entfliehn? Die Handlung ist nicht leiblich, das Empfinden Jst bloß im Cörper nur zu finden: Die schnellen Mittel hat des SCHOEPFFERS Huld er- lesen, Daß Er mit uns verbänd' ein nie vergänglich Wesen. Es nehmen keinen Raum die Vorwürff' in uns ein. Jn den Bewundrungen, die uns erreget seyn, Durch Kunst des SEHOEPFFERS, sieht des grösten Weisen Blick Nichts als ein Göttlich Meister-Stück.
Allein, spricht mancher hier: So hat ja dann die Welt, nebst der Materie Nichts würckliches in ihr, Der SCHOEPFFER äfft mich nur, was ich bewundere, Jst bloß ein Hauffen Staub. Es ist die Welt gemacht Aus nichts als trügerisch- und eitlen Phantaseyen.
Was
Betrachtung uͤber die Jdeen.
Unendliches Gemiſch unzaͤhlbarer Geſtalten, Die allezeit verſchwinden, Und allezeit ſich wieder finden, Auf einmal in den Sitz der Sinnen dringen; Wenn ihre Regungen, die ſtet- und lebendig, Nicht von Natur uncoͤrperlich? Wir oͤffnen nicht ſo bald die Augenlieder, So laͤſſet alles gleich bis zu des Himmels Hoͤhn, Jn einem Augenblick von uns ſich ſehn. Verſchlieſſen wir dieſelben wieder; So ſieht man Himmel, Licht und Sternen, Jm Augenblick verſchwindend, ſich entfernen. Was vor Gemaͤhld’ und Zuͤg’ ſind faͤhig ſich zu ziehn Vom Firmament, und wieder zu entfliehn? Die Handlung iſt nicht leiblich, das Empfinden Jſt bloß im Coͤrper nur zu finden: Die ſchnellen Mittel hat des SCHOEPFFERS Huld er- leſen, Daß Er mit uns verbaͤnd’ ein nie vergaͤnglich Weſen. Es nehmen keinen Raum die Vorwuͤrff’ in uns ein. Jn den Bewundrungen, die uns erreget ſeyn, Durch Kunſt des SEHOEPFFERS, ſieht des groͤſten Weiſen Blick Nichts als ein Goͤttlich Meiſter-Stuͤck.
Allein, ſpricht mancher hier: So hat ja dann die Welt, nebſt der Materie Nichts wuͤrckliches in ihr, Der SCHOEPFFER aͤfft mich nur, was ich bewundere, Jſt bloß ein Hauffen Staub. Es iſt die Welt gemacht Aus nichts als truͤgeriſch- und eitlen Phantaſeyen.
Was
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Betrachtung uͤber die Jdeen.
Unendliches Gemiſch unzaͤhlbarer Geſtalten,
Die allezeit verſchwinden,
Und allezeit ſich wieder finden,
Auf einmal in den Sitz der Sinnen dringen;
Wenn ihre Regungen, die ſtet- und lebendig,
Nicht von Natur uncoͤrperlich?
Wir oͤffnen nicht ſo bald die Augenlieder,
So laͤſſet alles gleich bis zu des Himmels Hoͤhn,
Jn einem Augenblick von uns ſich ſehn.
Verſchlieſſen wir dieſelben wieder;
So ſieht man Himmel, Licht und Sternen,
Jm Augenblick verſchwindend, ſich entfernen.
Was vor Gemaͤhld’ und Zuͤg’ ſind faͤhig ſich zu ziehn
Vom Firmament, und wieder zu entfliehn?
Die Handlung iſt nicht leiblich, das Empfinden
Jſt bloß im Coͤrper nur zu finden:
Die ſchnellen Mittel hat des SCHOEPFFERS Huld er-
leſen,
Daß Er mit uns verbaͤnd’ ein nie vergaͤnglich Weſen.
Es nehmen keinen Raum die Vorwuͤrff’ in uns ein.
Jn den Bewundrungen, die uns erreget ſeyn,
Durch Kunſt des SEHOEPFFERS, ſieht des groͤſten
Weiſen Blick
Nichts als ein Goͤttlich Meiſter-Stuͤck.
Allein, ſpricht mancher hier:
So hat ja dann die Welt, nebſt der Materie
Nichts wuͤrckliches in ihr,
Der SCHOEPFFER aͤfft mich nur, was ich bewundere,
Jſt bloß ein Hauffen Staub. Es iſt die Welt gemacht
Aus nichts als truͤgeriſch- und eitlen Phantaſeyen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/569>, abgerufen am 16.07.2024.
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