Wenn unser Geist die Vorwürff' überleget, Sind sie ein Land, so keinen Cörper heget, Das er bewohnet, das er sieht. Es ist die Sonne nicht, die man an Himmel setzet, Die eigentlich sich zeiget dem Gemüth; Von einer andern Sonn', die in uns glüht, Wird unser Geist, und nicht das Aug' ergötzet. Die Gegenwürffe, die so flüchtig seyn, Die bunten Flächen voll von Klarheit, Glantz und Schein, Die Felder voller Blüht, voll güldner Aehren Spitzen, Die Fluth, der Himmel und sein Blau, Die sind die Schönheit nicht, die ich bezaubert schau. Von Cörpern gantz umringt, die unsern Geist besitzen, Sind sie es dennoch nicht, die wir erblicken. Wenn wir die gantze Welt betrachten und besehen, Erkennen wir doch nichts, als unsere Jdeen. Es siehet jederman die Welt verschiedlich an. Nachdem wir Witz, Verstand und Achtsamkeit empfangen, Empfinden wir auch mehr der Creaturen Prangen.
Allein, wer kan von so viel Bildern, Die Schönheit ohne Pinsel schildern? Und wer kan, sonder Stoff und Zeug zu sehn, Ein sichtbarlich Gebäu erhöhn. Woher erhält und nimmt ein forschendes Gemüth, Der Schildereyen Meng' und Züge, die es sieht?
Es weis't uns die Vernunft zu GOTT, dem Born der Welt, Zum Geist, der aller Ding' Jdeen in sich hält.
Jm
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Betrachtung uͤber die Jdeen.
Wenn unſer Geiſt die Vorwuͤrff’ uͤberleget, Sind ſie ein Land, ſo keinen Coͤrper heget, Das er bewohnet, das er ſieht. Es iſt die Sonne nicht, die man an Himmel ſetzet, Die eigentlich ſich zeiget dem Gemuͤth; Von einer andern Sonn’, die in uns gluͤht, Wird unſer Geiſt, und nicht das Aug’ ergoͤtzet. Die Gegenwuͤrffe, die ſo fluͤchtig ſeyn, Die bunten Flaͤchen voll von Klarheit, Glantz und Schein, Die Felder voller Bluͤht, voll guͤldner Aehren Spitzen, Die Fluth, der Himmel und ſein Blau, Die ſind die Schoͤnheit nicht, die ich bezaubert ſchau. Von Coͤrpern gantz umringt, die unſern Geiſt beſitzen, Sind ſie es dennoch nicht, die wir erblicken. Wenn wir die gantze Welt betrachten und beſehen, Erkennen wir doch nichts, als unſere Jdeen. Es ſiehet jederman die Welt verſchiedlich an. Nachdem wir Witz, Verſtand und Achtſamkeit empfangen, Empfinden wir auch mehr der Creaturen Prangen.
Allein, wer kan von ſo viel Bildern, Die Schoͤnheit ohne Pinſel ſchildern? Und wer kan, ſonder Stoff und Zeug zu ſehn, Ein ſichtbarlich Gebaͤu erhoͤhn. Woher erhaͤlt und nimmt ein forſchendes Gemuͤth, Der Schildereyen Meng’ und Zuͤge, die es ſieht?
Es weiſ’t uns die Vernunft zu GOTT, dem Born der Welt, Zum Geiſt, der aller Ding’ Jdeen in ſich haͤlt.
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Betrachtung uͤber die Jdeen.
Wenn unſer Geiſt die Vorwuͤrff’ uͤberleget,
Sind ſie ein Land, ſo keinen Coͤrper heget,
Das er bewohnet, das er ſieht.
Es iſt die Sonne nicht, die man an Himmel ſetzet,
Die eigentlich ſich zeiget dem Gemuͤth;
Von einer andern Sonn’, die in uns gluͤht,
Wird unſer Geiſt, und nicht das Aug’ ergoͤtzet.
Die Gegenwuͤrffe, die ſo fluͤchtig ſeyn,
Die bunten Flaͤchen voll von Klarheit, Glantz und Schein,
Die Felder voller Bluͤht, voll guͤldner Aehren Spitzen,
Die Fluth, der Himmel und ſein Blau,
Die ſind die Schoͤnheit nicht, die ich bezaubert ſchau.
Von Coͤrpern gantz umringt, die unſern Geiſt beſitzen,
Sind ſie es dennoch nicht, die wir erblicken.
Wenn wir die gantze Welt betrachten und beſehen,
Erkennen wir doch nichts, als unſere Jdeen.
Es ſiehet jederman die Welt verſchiedlich an.
Nachdem wir Witz, Verſtand und Achtſamkeit empfangen,
Empfinden wir auch mehr der Creaturen Prangen.
Allein, wer kan von ſo viel Bildern,
Die Schoͤnheit ohne Pinſel ſchildern?
Und wer kan, ſonder Stoff und Zeug zu ſehn,
Ein ſichtbarlich Gebaͤu erhoͤhn.
Woher erhaͤlt und nimmt ein forſchendes Gemuͤth,
Der Schildereyen Meng’ und Zuͤge, die es ſieht?
Es weiſ’t uns die Vernunft zu GOTT, dem Born der Welt,
Zum Geiſt, der aller Ding’ Jdeen in ſich haͤlt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/565>, abgerufen am 16.02.2025.
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