Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Von dem Sitz der Sinnlichkeiten. Der Ort ist aber nicht gar leicht zu finden, Noch eigentlich die Stelle zu ergründen. Doch mag es, oder nicht die Glandul seyn, Die Pinealis insgemein Genennet wird, so stimmt doch dem ein jeder bey, Daß es ein solcher Ort, der ihr nicht ungleich, sey. Der Nerven Fäden sind allhier so zart und klein, Verwirren sich und sind fast nicht zu spüren, Ja scheinen sich fast gäntzlich zu verlieren. Dis muß nun eigentlich der unsichtbare Sitz, Das Pünctgen der Verbindung seyn, Woselbst, da sie des Eindrucks Würckung spüret, Die Seele fühlbar ist, und wo sie wird gerühret: Bewegungen, von cörperlichen Sachen Die müssen dort ein geistigs Mahlwerck machen, So daß die Seele hier, die mit dem Leib sich bindet, Der Sinnen Harmonie, auch ihre selbst, empfindet. Wann deutlich, nett und rein ein Vorwurff wird erblickt; Entsteht es bloß, daß er sich in ein Pünctgen drückt. Hingegen wird das Sehn verwirret und verstöret, Wenn, da man etwan eins von unsern Augen presst, Man gleich das Nervchen abwerts kehret, Da an zween Orten dann die Glandul wird beweget, Wodurch dasselbe Bild so gleich gedoppelt lässt, Und folglich sind im Geist und in der Phantasey Durch diese dopple Schilderey Verwirrungen erreget. Jm
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten. Der Ort iſt aber nicht gar leicht zu finden, Noch eigentlich die Stelle zu ergruͤnden. Doch mag es, oder nicht die Glandul ſeyn, Die Pinealis insgemein Genennet wird, ſo ſtimmt doch dem ein jeder bey, Daß es ein ſolcher Ort, der ihr nicht ungleich, ſey. Der Nerven Faͤden ſind allhier ſo zart und klein, Verwirren ſich und ſind faſt nicht zu ſpuͤren, Ja ſcheinen ſich faſt gaͤntzlich zu verlieren. Dis muß nun eigentlich der unſichtbare Sitz, Das Puͤnctgen der Verbindung ſeyn, Woſelbſt, da ſie des Eindrucks Wuͤrckung ſpuͤret, Die Seele fuͤhlbar iſt, und wo ſie wird geruͤhret: Bewegungen, von coͤrperlichen Sachen Die muͤſſen dort ein geiſtigs Mahlwerck machen, So daß die Seele hier, die mit dem Leib ſich bindet, Der Sinnen Harmonie, auch ihre ſelbſt, empfindet. Wann deutlich, nett und rein ein Vorwurff wird erblickt; Entſteht es bloß, daß er ſich in ein Puͤnctgen druͤckt. Hingegen wird das Sehn verwirret und verſtoͤret, Wenn, da man etwan eins von unſern Augen preſſt, Man gleich das Nervchen abwerts kehret, Da an zween Orten dann die Glandul wird beweget, Wodurch daſſelbe Bild ſo gleich gedoppelt laͤſſt, Und folglich ſind im Geiſt und in der Phantaſey Durch dieſe dopple Schilderey Verwirrungen erreget. Jm
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Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Der Ort iſt aber nicht gar leicht zu finden,
Noch eigentlich die Stelle zu ergruͤnden.
Doch mag es, oder nicht die Glandul ſeyn,
Die Pinealis insgemein
Genennet wird, ſo ſtimmt doch dem ein jeder bey,
Daß es ein ſolcher Ort, der ihr nicht ungleich, ſey.
Der Nerven Faͤden ſind allhier ſo zart und klein,
Verwirren ſich und ſind faſt nicht zu ſpuͤren,
Ja ſcheinen ſich faſt gaͤntzlich zu verlieren.
Dis muß nun eigentlich der unſichtbare Sitz,
Das Puͤnctgen der Verbindung ſeyn,
Woſelbſt, da ſie des Eindrucks Wuͤrckung ſpuͤret,
Die Seele fuͤhlbar iſt, und wo ſie wird geruͤhret:
Bewegungen, von coͤrperlichen Sachen
Die muͤſſen dort ein geiſtigs Mahlwerck machen,
So daß die Seele hier, die mit dem Leib ſich bindet,
Der Sinnen Harmonie, auch ihre ſelbſt, empfindet.
Wann deutlich, nett und rein ein Vorwurff wird erblickt;
Entſteht es bloß, daß er ſich in ein Puͤnctgen druͤckt.
Hingegen wird das Sehn verwirret und verſtoͤret,
Wenn, da man etwan eins von unſern Augen preſſt,
Man gleich das Nervchen abwerts kehret,
Da an zween Orten dann die Glandul wird beweget,
Wodurch daſſelbe Bild ſo gleich gedoppelt laͤſſt,
Und folglich ſind im Geiſt und in der Phantaſey
Durch dieſe dopple Schilderey
Verwirrungen erreget.
Jm
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