Das alle Töne rein und deutlich wieder giebet, Die eine kluge Hand auf selben ausgeübet; Allein, was nützet doch der schönen Töne Klang? Wenn diese Wunder-Kunst nicht einen Hörer findet, Der den bezaubernden Gesang Hört und beurtheilt und empfindet. Dies ist die Seele nun, die dies Bewegen spürt, Sie überleget sie, und wird durch sie gerührt.
Man irret sich hierinnen nicht, Da der Verstand selbst überzeuglich spricht: Das, was uns fühlen macht, durchaus nicht einerley Mit den so zarten Geistern sey, Und daß die heisse Feuchtigkeit, Die in den Nerven rinnt, Jm Hertzen kocht und wallt, sich im Gehirn verdünnt, Gantz anderer Beschaffenheit.
Wann eine Lauten-Sait' ein weiser WEISE rühret; So wird der Schlag, wodurch er sie belebt, Wenn er sich bis ans Ohr erhebt, Durch unsrer Nerven Gang biß ins Gehirn geführet. Die Nerven nun sowol, als auch die Sait', Jst bloß Materie, auf gleiche Art bewegt, Die beyd' ein gleiches Zittern regt. Allein heisst dies Empfindlichkeit? Sind sie nun im Gehirn; so regt sich zwar Desselben graues Marck, das, zärter als ein Haar, Jn kleinen Fäden liegt, viel sanffter: doch deßwegen Vermag man ihm mit Recht nichts sinnlichs beyzulegen.
Man
J i 3
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Das alle Toͤne rein und deutlich wieder giebet, Die eine kluge Hand auf ſelben ausgeuͤbet; Allein, was nuͤtzet doch der ſchoͤnen Toͤne Klang? Wenn dieſe Wunder-Kunſt nicht einen Hoͤrer findet, Der den bezaubernden Geſang Hoͤrt und beurtheilt und empfindet. Dies iſt die Seele nun, die dies Bewegen ſpuͤrt, Sie uͤberleget ſie, und wird durch ſie geruͤhrt.
Man irret ſich hierinnen nicht, Da der Verſtand ſelbſt uͤberzeuglich ſpricht: Das, was uns fuͤhlen macht, durchaus nicht einerley Mit den ſo zarten Geiſtern ſey, Und daß die heiſſe Feuchtigkeit, Die in den Nerven rinnt, Jm Hertzen kocht und wallt, ſich im Gehirn verduͤnnt, Gantz anderer Beſchaffenheit.
Wann eine Lauten-Sait’ ein weiſer WEISE ruͤhret; So wird der Schlag, wodurch er ſie belebt, Wenn er ſich bis ans Ohr erhebt, Durch unſrer Nerven Gang biß ins Gehirn gefuͤhret. Die Nerven nun ſowol, als auch die Sait’, Jſt bloß Materie, auf gleiche Art bewegt, Die beyd’ ein gleiches Zittern regt. Allein heiſſt dies Empfindlichkeit? Sind ſie nun im Gehirn; ſo regt ſich zwar Deſſelben graues Marck, das, zaͤrter als ein Haar, Jn kleinen Faͤden liegt, viel ſanffter: doch deßwegen Vermag man ihm mit Recht nichts ſinnlichs beyzulegen.
Man
J i 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0531"n="501"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.</hi></fw><lb/><lgtype="poem"><l>Das alle Toͤne rein und deutlich wieder giebet,</l><lb/><l>Die eine kluge Hand auf ſelben ausgeuͤbet;</l><lb/><l>Allein, was nuͤtzet doch der ſchoͤnen Toͤne Klang?</l><lb/><l>Wenn dieſe Wunder-Kunſt nicht einen Hoͤrer findet,</l><lb/><l>Der den bezaubernden Geſang</l><lb/><l>Hoͤrt und beurtheilt und empfindet.</l><lb/><l>Dies iſt die Seele nun, die dies Bewegen ſpuͤrt,</l><lb/><l>Sie uͤberleget ſie, und wird durch ſie geruͤhrt.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">M</hi>an irret ſich hierinnen nicht,</l><lb/><l>Da der Verſtand ſelbſt uͤberzeuglich ſpricht:</l><lb/><l>Das, was uns fuͤhlen macht, durchaus nicht einerley</l><lb/><l>Mit den ſo zarten Geiſtern ſey,</l><lb/><l>Und daß die heiſſe Feuchtigkeit,</l><lb/><l>Die in den Nerven rinnt,</l><lb/><l>Jm Hertzen kocht und wallt, ſich im Gehirn verduͤnnt,</l><lb/><l>Gantz anderer Beſchaffenheit.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">W</hi>ann eine Lauten-Sait’ ein weiſer WEISE ruͤhret;</l><lb/><l>So wird der Schlag, wodurch er ſie belebt,</l><lb/><l>Wenn er ſich bis ans Ohr erhebt,</l><lb/><l>Durch unſrer Nerven Gang biß ins Gehirn gefuͤhret.</l><lb/><l>Die Nerven nun ſowol, als auch die Sait’,</l><lb/><l>Jſt bloß Materie, auf gleiche Art bewegt,</l><lb/><l>Die beyd’ ein gleiches Zittern regt.</l><lb/><l>Allein heiſſt dies Empfindlichkeit?</l><lb/><l>Sind ſie nun im Gehirn; ſo regt ſich zwar</l><lb/><l>Deſſelben graues Marck, das, zaͤrter als ein Haar,</l><lb/><l>Jn kleinen Faͤden liegt, viel ſanffter: doch deßwegen</l><lb/><l>Vermag man ihm mit Recht nichts ſinnlichs beyzulegen.</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="sig">J i 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Man</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[501/0531]
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Das alle Toͤne rein und deutlich wieder giebet,
Die eine kluge Hand auf ſelben ausgeuͤbet;
Allein, was nuͤtzet doch der ſchoͤnen Toͤne Klang?
Wenn dieſe Wunder-Kunſt nicht einen Hoͤrer findet,
Der den bezaubernden Geſang
Hoͤrt und beurtheilt und empfindet.
Dies iſt die Seele nun, die dies Bewegen ſpuͤrt,
Sie uͤberleget ſie, und wird durch ſie geruͤhrt.
Man irret ſich hierinnen nicht,
Da der Verſtand ſelbſt uͤberzeuglich ſpricht:
Das, was uns fuͤhlen macht, durchaus nicht einerley
Mit den ſo zarten Geiſtern ſey,
Und daß die heiſſe Feuchtigkeit,
Die in den Nerven rinnt,
Jm Hertzen kocht und wallt, ſich im Gehirn verduͤnnt,
Gantz anderer Beſchaffenheit.
Wann eine Lauten-Sait’ ein weiſer WEISE ruͤhret;
So wird der Schlag, wodurch er ſie belebt,
Wenn er ſich bis ans Ohr erhebt,
Durch unſrer Nerven Gang biß ins Gehirn gefuͤhret.
Die Nerven nun ſowol, als auch die Sait’,
Jſt bloß Materie, auf gleiche Art bewegt,
Die beyd’ ein gleiches Zittern regt.
Allein heiſſt dies Empfindlichkeit?
Sind ſie nun im Gehirn; ſo regt ſich zwar
Deſſelben graues Marck, das, zaͤrter als ein Haar,
Jn kleinen Faͤden liegt, viel ſanffter: doch deßwegen
Vermag man ihm mit Recht nichts ſinnlichs beyzulegen.
Man
J i 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/531>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.