Durch des Crystalls Betrügereyen, Wird offt die Schönheit selbst in Heßlichkeit verkehrt. Bald siehet man vom Zwerg ein scheußlich Abentheuer, Und bald ein Riesen-Bild, sehr groß und ungeheuer. Figuren, die vertiefft, sind bald darinn zu sehn, Bald andre, die herauf und vorwerts stehn. Offt scheint ein Gegenwurff sich gantz heraus zu rücken, Den man doch billig sollt' im Spiegel-Glas erblicken.
Durch eben diese Kunst vermögen Gläser auch, Durch unterschiedentlich geschliffne Fläch-und Krümmen, Den Cörpern andere Gestalten zu bestimmen: Nachdem das Licht, Das durch die Gläser bricht, Sich dehnt, verbreitet und sich füget, Da jeder Gegenwurff uns dann betrüget. Sie ändern, nähern sich, sie werden groß und klein, Entfernen sich, sie können gar Vermehret und vervielfacht seyn. Jedwede Seite stellt den gantzen Vorwurff dar, So, daß durchs Auge mein Gemüth, Statt eines Vorwurffs, zwantzig sieht.
O vortheilhaffte Lehr! O Anmuht! recht zu sehn, Durch welche Regel doch die Züg' in uns entstehn, Daß bloß der Geist vermag zu richten und zu spüren, Daß wir in allen dem, was uns verführen, Nicht weniger uns auch belehren, Die Sinnen wol und recht regieren, Auch sie verleiten kan; man die Vernunfft muß hören!
Der
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Von Spiegeln und Fern-Glaͤſern.
Durch des Cryſtalls Betruͤgereyen, Wird offt die Schoͤnheit ſelbſt in Heßlichkeit verkehrt. Bald ſiehet man vom Zwerg ein ſcheußlich Abentheuer, Und bald ein Rieſen-Bild, ſehr groß und ungeheuer. Figuren, die vertiefft, ſind bald darinn zu ſehn, Bald andre, die herauf und vorwerts ſtehn. Offt ſcheint ein Gegenwurff ſich gantz heraus zu ruͤcken, Den man doch billig ſollt’ im Spiegel-Glas erblicken.
Durch eben dieſe Kunſt vermoͤgen Glaͤſer auch, Durch unterſchiedentlich geſchliffne Flaͤch-und Kruͤmmen, Den Coͤrpern andere Geſtalten zu beſtimmen: Nachdem das Licht, Das durch die Glaͤſer bricht, Sich dehnt, verbreitet und ſich fuͤget, Da jeder Gegenwurff uns dann betruͤget. Sie aͤndern, naͤhern ſich, ſie werden groß und klein, Entfernen ſich, ſie koͤnnen gar Vermehret und vervielfacht ſeyn. Jedwede Seite ſtellt den gantzen Vorwurff dar, So, daß durchs Auge mein Gemuͤth, Statt eines Vorwurffs, zwantzig ſieht.
O vortheilhaffte Lehr! O Anmuht! recht zu ſehn, Durch welche Regel doch die Zuͤg’ in uns entſtehn, Daß bloß der Geiſt vermag zu richten und zu ſpuͤren, Daß wir in allen dem, was uns verfuͤhren, Nicht weniger uns auch belehren, Die Sinnen wol und recht regieren, Auch ſie verleiten kan; man die Vernunfft muß hoͤren!
Der
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Von Spiegeln und Fern-Glaͤſern.
Durch des Cryſtalls Betruͤgereyen,
Wird offt die Schoͤnheit ſelbſt in Heßlichkeit verkehrt.
Bald ſiehet man vom Zwerg ein ſcheußlich Abentheuer,
Und bald ein Rieſen-Bild, ſehr groß und ungeheuer.
Figuren, die vertiefft, ſind bald darinn zu ſehn,
Bald andre, die herauf und vorwerts ſtehn.
Offt ſcheint ein Gegenwurff ſich gantz heraus zu ruͤcken,
Den man doch billig ſollt’ im Spiegel-Glas erblicken.
Durch eben dieſe Kunſt vermoͤgen Glaͤſer auch,
Durch unterſchiedentlich geſchliffne Flaͤch-und Kruͤmmen,
Den Coͤrpern andere Geſtalten zu beſtimmen:
Nachdem das Licht,
Das durch die Glaͤſer bricht,
Sich dehnt, verbreitet und ſich fuͤget,
Da jeder Gegenwurff uns dann betruͤget.
Sie aͤndern, naͤhern ſich, ſie werden groß und klein,
Entfernen ſich, ſie koͤnnen gar
Vermehret und vervielfacht ſeyn.
Jedwede Seite ſtellt den gantzen Vorwurff dar,
So, daß durchs Auge mein Gemuͤth,
Statt eines Vorwurffs, zwantzig ſieht.
O vortheilhaffte Lehr! O Anmuht! recht zu ſehn,
Durch welche Regel doch die Zuͤg’ in uns entſtehn,
Daß bloß der Geiſt vermag zu richten und zu ſpuͤren,
Daß wir in allen dem, was uns verfuͤhren,
Nicht weniger uns auch belehren,
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/519>, abgerufen am 16.02.2025.
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