Jst es nicht ausgemacht, daß, wenn der Menschen Fleiß Den Göttern Tempel baut, und den Monarchen weiß Palläste zu erhöhn; im Blick nicht, bloß im Geist Die Gleichmaß, der Entwurff, die Symmetrie sich weisst? Die Himmlischen Geschenck, das auserlesne Licht, Wornach das Schöne sich zusammt dem Guten richt, Die niemand lernen kan, Durch welche Phidias die Wunder ansgeübet, Die er zum ewgen Ruhm ersann, Die heitre Ur-Jdee, ein ewigs Muster-Bild, So wircket, daß man gleich was schön ist, schätzt und liebet, Die bloß nur des Gemüthes-Gaben, So wir in der Gebuhrt empfangen haben; Worinn ein edler Geist sich nie kan satt studiren, Und welchen er, jemehr ihn Licht und Schönheit rühren, Um desto eifriger sucht nachzuspüren.
Wir können nimmermehr getreure Hülff' erlangen, Als unsrer Augen Hülff, des Firmamentes Prangen, Den wundervollen Lauff der Lichter seiner Höh'n Zu überlegen, zu besehn. Allein kan man der Tieffe Gröss' erblicken, Und ihrer Kugeln Glantz und Wunderwürdigkeit? Sie werden das Gesicht, so sich verirrt, berücken; Wo uns nicht die Vernunfft getreue Regeln beut. Wann, fern vom Horizont, der Mond sich aufwerts führet, Und in den blauen Lufft-Creis steigt; So scheint er, als ob er den Baum, das Haus berühret, Von welchem er sich gantz nicht abgesondert zeigt.
Um-
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Von dem Geſicht.
Jſt es nicht ausgemacht, daß, wenn der Menſchen Fleiß Den Goͤttern Tempel baut, und den Monarchen weiß Pallaͤſte zu erhoͤhn; im Blick nicht, bloß im Geiſt Die Gleichmaß, der Entwurff, die Symmetrie ſich weiſſt? Die Himmliſchen Geſchenck, das auserleſne Licht, Wornach das Schoͤne ſich zuſammt dem Guten richt, Die niemand lernen kan, Durch welche Phidias die Wunder ansgeuͤbet, Die er zum ewgen Ruhm erſann, Die heitre Ur-Jdee, ein ewigs Muſter-Bild, So wircket, daß man gleich was ſchoͤn iſt, ſchaͤtzt und liebet, Die bloß nur des Gemuͤthes-Gaben, So wir in der Gebuhrt empfangen haben; Worinn ein edler Geiſt ſich nie kan ſatt ſtudiren, Und welchen er, jemehr ihn Licht und Schoͤnheit ruͤhren, Um deſto eifriger ſucht nachzuſpuͤren.
Wir koͤnnen nimmermehr getreure Huͤlff’ erlangen, Als unſrer Augen Huͤlff, des Firmamentes Prangen, Den wundervollen Lauff der Lichter ſeiner Hoͤh’n Zu uͤberlegen, zu beſehn. Allein kan man der Tieffe Groͤſſ’ erblicken, Und ihrer Kugeln Glantz und Wunderwuͤrdigkeit? Sie werden das Geſicht, ſo ſich verirrt, beruͤcken; Wo uns nicht die Vernunfft getreue Regeln beut. Wann, fern vom Horizont, der Mond ſich aufwerts fuͤhret, Und in den blauen Lufft-Creis ſteigt; So ſcheint er, als ob er den Baum, das Haus beruͤhret, Von welchem er ſich gantz nicht abgeſondert zeigt.
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Von dem Geſicht.
Jſt es nicht ausgemacht, daß, wenn der Menſchen Fleiß
Den Goͤttern Tempel baut, und den Monarchen weiß
Pallaͤſte zu erhoͤhn; im Blick nicht, bloß im Geiſt
Die Gleichmaß, der Entwurff, die Symmetrie ſich weiſſt?
Die Himmliſchen Geſchenck, das auserleſne Licht,
Wornach das Schoͤne ſich zuſammt dem Guten richt,
Die niemand lernen kan,
Durch welche Phidias die Wunder ansgeuͤbet,
Die er zum ewgen Ruhm erſann,
Die heitre Ur-Jdee, ein ewigs Muſter-Bild,
So wircket, daß man gleich was ſchoͤn iſt, ſchaͤtzt und liebet,
Die bloß nur des Gemuͤthes-Gaben,
So wir in der Gebuhrt empfangen haben;
Worinn ein edler Geiſt ſich nie kan ſatt ſtudiren,
Und welchen er, jemehr ihn Licht und Schoͤnheit ruͤhren,
Um deſto eifriger ſucht nachzuſpuͤren.
Wir koͤnnen nimmermehr getreure Huͤlff’ erlangen,
Als unſrer Augen Huͤlff, des Firmamentes Prangen,
Den wundervollen Lauff der Lichter ſeiner Hoͤh’n
Zu uͤberlegen, zu beſehn.
Allein kan man der Tieffe Groͤſſ’ erblicken,
Und ihrer Kugeln Glantz und Wunderwuͤrdigkeit?
Sie werden das Geſicht, ſo ſich verirrt, beruͤcken;
Wo uns nicht die Vernunfft getreue Regeln beut.
Wann, fern vom Horizont, der Mond ſich aufwerts fuͤhret,
Und in den blauen Lufft-Creis ſteigt;
So ſcheint er, als ob er den Baum, das Haus beruͤhret,
Von welchem er ſich gantz nicht abgeſondert zeigt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/511>, abgerufen am 16.02.2025.
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